Raus aus der Echokammer – Kommentar zum Humanitären Kongress in Wien

65,3 Mio. vertriebene oder flüchtende Menschen, 226 gewalttätige Konflikte und nur wenige Lösungsansätze. Das sind die Eckdaten des Umfelds, in dem am 3. März 2017 der Humanitäre Kongress in Wien abgehalten wurde.

Die Organisator_innen des Roten Kreuzes, der Caritas, der AG Globale Verantwortung, Ärzte ohne Grenzen und der SOS Kinderdörfer stellten unter dem Motto “Forced to Flee – Humanity on the Run” ein international besetztes Programm zusammen, welches unter dem Eindruck der gegenwärtigen Flüchtlingskrise in Europa den Blick für die globalen Dynamiken und die Herausforderungen an die humanitäre Unterstützung auszuweiten versuchte. In überwiegend international besetzten Panel-Diskussionen wurden Fragen nach policy-making, Fluchtursachen, Herausforderungen an das internationale Recht, der Zivilgesellschaft und – konkret – dem EU-Libyen-Deal nachgegangen.

Preaching to the converted

Bei den Diskussionen rückte eine Problematik wiederholt in den Vordergrund. In den verschiedensten Ausführungen wurde immer wieder die Frage der “Echo-Kammer” bemängelt und kritisiert: “Preaching to the already converted”, “the humanitarian bubble”, “never leaving the comfort zone” und “staying within the echo chamber”. Angesichts zunehmender Herausforderungen bei gleichzeitig schwindenden Ressourcen sei es notwendig, auch jene anzusprechen, zu erreichen, die normalerweise nicht auf einem humanitären Kongress vertreten sind. Dabei ginge es darum, nicht nur Möglichkeiten der (pragmatischen) Zusammenarbeit auszuloten, sondern vor allem Überzeugungsarbeit zu leisten. Überzeugungsarbeit dafür, dass die Perspektiven der humanitären Akteure in der Bewältigung gegenwärtiger Krisen in Europa, im Nahen Osten und in Subsahara-Afrika – um nur einige aufzuzählen – wertvoll sind.

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Ein Panel des Humanitäre Kongresses 2017. Bild: © Marisa Tasser.

Gerade das Eröffnungs-Panel zum Thema “Failed Policy-Making with Global Consequences” hätte hier Potential für Anschlussmöglichkeiten aufgezeigt. Yves Daccord (Generaldirektor des IKRK), Gerald Knaus (Vorsitzender der European Stability Initiative), Ulrike Lunacek (Vizepräsidentin der Europäischen Parlements) und Volker Türk (Stv. UNO-Flüchtlingshochkommissar) diskutierten über die aktuellen Entwicklungen im Policy-Bereich zur Bewältigung der verschiedenen Krisen. In Richtung der politischen Verantwortungsträger, aber an die eigene “Zunft” gerichtet, forderten sie einen zunehmenden Pragmatismus und Realismus ein, um lösungsorientiert Probleme anzugehen. Die Forderung nach einer Entideologisierung der Thematik dürfte auch jenen Kritiker_innen den Wind aus den Segeln nehmen, die humanitären Akteuren weltfremden Humanismus vorwerfen. Aufgrund des zunehmenden externen Drucks zur Lösung der gegenwärtigen Konflikte dürfte sich ein “window of opportunity” ergeben, das eine verstärkte Zusammenarbeit bis dato gegensätzlicher Akteure (z.B. sicherheitspolitischer auf der einen und humanitärer Akteure auf der anderen Seite) ermöglichen könnte, so die einhellige Meinung.

Integriertes Vorgehen vs. “blurring the lines”

Neu ist die Idee der verstärkten Zusammenarbeit militärischer und ziviler Akteure aber nicht. Die Konzeption des Krisenmanagements der Europäischen Union beispielsweise – Stichwort “Comprehensive Approach” – zielt auf die Bewältigung gegenwärtiger, vor allem innerstaatlicher (hybrider) Konflikte ab. Mit dem Crisis Management and Planning Directorate verfügt der Auswärtige Dienst der Europäischen Union (EEAS) über eine ständig eingerichtete Struktur, deren Aufgabe die strategische, integrierte Planung von Optionen für das auswärtige Krisenmanagement-Handeln der EU ist. Zivile und militärische Planer_innen sind in dieser Struktur integriert und erarbeiten gemeinsam Handlungsoptionen.

Die Vereinten Nationen verfolgen in der Planung und Umsetzung ihrer Friedensmissionen ebenso einen “integrated approach”, der versucht, die Aktivitäten im humanitären wie im Sicherheitsbereich aufeinander abzustimmen und zu koordinieren, um mit dem jeweils adäquaten Mittel auf Entwicklungen zu reagieren. Dies ist als konzeptionelle Antwort auf die Veränderung der VN-Einsätze in gegenwärtigen Konflikten zu verstehen. Diese Einsätze gehen weit über die VN-Einsätze während des Kalten Krieges und kurz danach hinaus, wo es notwendig war, die Einhaltung von Waffenstillständen zu beobachten und zu garantieren. Die Mandate aktueller Missionen, wie etwa jenes der VN-Mission in Mali (MINUSMA), tragen hier deutlich robustere Züge. Durch die Aufgabe “Protection of civilians” wurde hier die VN-Mission um ein “offensives” Element erweitert, das unter Rückgriff auf Kapitel VII der UN-Charta den Einsatz von Waffen durch die beteiligten Blauhelm-Soldat_innen explizit erlaubt.

Ein negatives Beispiel für die “Integration” von humanitären und militärischen Aktivitäten zeigt die Vereinnahmung humanitärer Interventionen für die Strategie der Aufstandsbekämpfung (“winning hearts and minds”) der US-Streitkräfte während der Intervention “Operation Enduring Freedom” in Afghanistan. Hier kam es zu einer starken Vermischung militärischer, nachrichtendienstlicher und humanitärer Aktivitäten und in Folge zu einem massiven Vertrauensverlust der Bevölkerung gegenüber humanitärer Akteure. Eine Studie des IKRK konnte überdies nachweisen, dass dadurch auch die Erreichung militärischer Ziele behindert wurde.

Es ist also notwendig, durch klare Aufgabenzuteilungen die erforderliche Balance zwischen Integration, Koordination und Vermischung sicherzustellen. Keine leichte Aufgabe, bedenkt man die unterschiedlichen Zielsetzungen, Motive und Organisationskulturen der jeweilig involvierten Akteure.

Eigenes Profil schärfen und Schnittstellen definieren

Austausch und Diskussion sind notwendig, um Möglichkeiten zu schaffen, die verschiedenen Zielsetzungen und Motive der einzelnen Stakeholder kennen zu lernen. Zivile wie militärische Akteure bringen darüber hinaus unterschiedliche Organisationskulturen mit, die das Handeln (im und außerhalb des Feldes) sehr stark prägen und zudem oftmals für Irritationen sorgen können. Begegnungen und Diskussionen können dabei helfen, einerseits das Verständnis für das Gegenüber zu erhöhen, aber vor allem das eigene Profil zu schärfen und als Konsequenz daraus Schnittstellen zu den anderen Akteuren zu suchen und definieren.

Für den nächsten Humanitären Kongress in Wien bleibt daher zu wünschen, dass die eigene Echokammer hinter sich gelassen und die Einladung zu dieser wichtigen Veranstaltung auch in jenen Kreisen breit gestreut wird, die traditionell nur wenig in der humanitären Community präsent sind. Bedarf für Diskussion und Austausch wäre angesichts der gegenwärtigen Krisen und Konflikte auf jeden Fall gegeben.

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Bild: humanitariancongress.at
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