Salon Shabka | Fundamentalismus und Moderne

Am 11. 10. 2016 fand der dritte Salon Shabka statt, dieses Mal unter Vorbereitung von Constantin Lager und Paul Winter. Mit „Fundamentalismus und Moderne“, dessen Aufhänger Constantins Artikel zum Thema war, diskutierten wir über etwas, das nur am Anfang abstrakt klingt, aber sehr konkrete Auswirkungen hat.

Ein Wespennnest der Begriffe

Schnell mussten wir dann auch feststellen, dass wir bereits bei der Diskussion über die Begriffe „Fundamentalismus“ und „Moderne“ nicht umher kommen, im Wespennest zu stochern: Sowohl Moderne als auch Fundamentalismus können nicht ohne einer Vielzahl anderer Begriffe gedacht und diskutiert werden – von Ideologie über Macht, Radikalität, Freiheit und Herrschaft – alles Wortklötze, denen wir nur in ihrem Zusammenspiel, in ihrem Kontext, Bedeutung verschaffen können.

Gerade dies machte diese Diskussion zu einem Abenteuer, einem Kraussel aus Bedeutungen, Benennungen und Dialogen. Ein „Ergebnis“ zu präsentieren ist daher schwierig. Diese Nachlese möchte zentrale Punkte der Diskussion zusammenfassen.

Modern ist, wer „modern ist“!

Bereits zu Beginn mussten wir uns der Frage widmen, was denn nun „modern“ sei?

Moderne hat sowohl umgangssprachliche (modische) Bedeutungen ebenso wie die Abgrenzung gewisser Epochen. Hier war bereits am Anfang deutlich, dass „Moderne“ immer auch als etwas begriffen wird, das sich vom Vergangenen abgrenzt, das sich abheben möchte und das etwas „Neues“ für sich beansprucht und sich selbst als „modern“ versteht – und das beginnt bereits unter Karl dem Großen (Habermas 1994: 178).

Und dasselbe gilt vermutlich für außereuropäische Gesellschaften gleichermaßen, die vielleicht dafür ein anderes Wort besaßen, jedoch den Umbruch, den Wandel vom Alten zum Neuen ebenso bedachten.

Goldene Kälber: Vom Religiösen zum Ökonomischen

Worauf wir uns sondann einigten, war das Verständnis einer spezifischen Moderne, der Idee, dass wir zu Beginn des 19. Jahrhunderts (und davor) eine Schwelle überschritten haben, deren Auswirkungen bis heute spürbar sind: Das Entstehen einer kapitalistischen Gesellschaft ebenso wie der „Siegeszug des Liberalismus“. Gründe für das Überschreiten der angesprochenen Schwelle, diesem Paradigmenwechsel, wurden in der Runde ebenso diskutiert wie eine mögliche Arbeitsdefinition die eine Bewusstseinsänderung durch die Revolutionierung technologischer Produktionsverhältnisse vermutete. Anlehnend an die Gedanken des Soziologen Shmuel Eisenstadts wurde jedoch festgehalten, dass es nicht die eine Moderne gibt, sondern ein bestimmtes modernes Programm sich kulturübergreifend ausgebreitet hat und zu der Entwicklung multipler Modernen beitrug. Diese Modernität – so ein Teilnehmer – hat sich an ihre eigenen Grenzen gebracht.

Besonders im Prozess der sogenannten Aufklärung verorteten viele eine Ablösung von etwas Altem zu etwas Neuem, das nunmehr mit Vernunft umschrieben wurde. Dass damit aber der Mensch nicht wirklich von seiner Unmündigkeit befreit wurde, sondern sich lediglich neuen Zwängen zu unterwerfen habe, war ebenso Gegenstand der Diskussion.

Moderne und Fundamentalismus: Frustration und kein Weg raus?

Diese spezifische Moderne hat mitunter die Konsum- und Leistungsgesellschaft geboren. Diese ist (der erzwungene) Exportschlager westlicher Gesellschaften – und dies wirkt sich freilich auf Individuen aus. Ihre Versprechungen sind Wohlstand, Arbeit, Selbstverwirklichung, Konsum usw.

Viele müssen jedoch in vollständig durchkapitalisierten Gesellschaften erkennen, dass diese Versprechungen trotz Anstrengungen nicht gleichermaßen erfüllt werden. Und dass einige Gruppen – von MuslimInnen über Schwarze, Frauen – es weitaus schwieriger haben, den Traum (Mythos) der Moderne zu verwirklichen. Die Mär des „amerikanischen Traums“, wo es der Tellerwäscher zum Millionär bringen könne, ist eine dieser Versprechungen – und nicht mehr als ein Mythos, eine Karotte vor dem Esel. (Wie der amerikanische Traum in der Wirklichkeit aussieht, zeigt die Wahl Donald Drumpfs zum US-Präsidenten.)

Ein Ergebnis dieser Frustration, Enttäuschung und Empörung ist – so die These im Salon – dass extremistische bzw. fundamentalistische Gruppen Zulauf erhalten, die die moderne Ablehnen, gleichwohl aber ein Produkt der Moderne sind. Dasselbe gelte für Sehnsüchte nach Identität und Authentizität in einer scheinbar unübersichtlich, ungreifbar gewordenen Welt. Oder in den Worten eines Salon-Teilnehmers:

„Zurück zum Ursprung“ wird somit vielmehr zur notwendigen Entscheidung des Individuums als eine konsumtherapeutische Option im Kühlregal und jedes Kollektiv, dass das „anbietet“ muss so zwingend als radikal, als archaisch gelten, weil es ja reell sein muss und so hinter dem (technologischen) Fortschritt zurückbleibt. Daesh ist dafür ein gutes Bespiel. Der abgrenzende Charakter des Begriffs Moderne ist dabei in allen Richtungen anwendbar: Die VR-Brille von Samsung ist modern, aber auch der proto-Wahhabismus Daesh’s – ihr Fortschritt ist eben der oben skizzierte Rückschritt.“ Der rückwärtsgewandte Charakter Daeshs ist dabei höchst modern, da er einerseits eine (wenngleich grausame) Antwort auf die diversen Krisen der Moderne ist und andererseits von der Realisierung eines als gerecht imaginierten gesellschaftlichen Ideals im hier und jetzt träumt.

Was tun?

Bei aller Unübersichtlichkeit, bei aller Frustration und „postmoderner Kontingenz“ disktutierten die TeilnehmerInnen am Ende des Salons über Handlungsmöglichkeiten. Während einerseits die Überlegung vorherrschte, dass es wohl doch gut sei, so wie es ist, und man durchaus auch über Reformen, Besonnenheit und Nachhaltigkeit die Welt retten könne, sahen andere TeilnehmerInnen die einzige Lösung im radikalen Bruch mit der vorherrschenden Denk- und Handlungslogik, was wiederrum das Schreiben neuer, großer Erzählungen erfordert. Ein anderer Teilnehmer meinte hingegen, dass

eine kritische Auseinandersetzung über die Moderne, d.h. eine apokalyptische Reflexion auf die Moderne ermöglicht Gestaltungs- und Handlungsoptionen. Das kann nur passieren, wenn wir den emanzipatorischen Charakter der großen Ideologien und Religionen hinterfragen.

Die Diskussion von Fundamentalismus und Moderne und allen ihren Schattierungen, Begriffen etc. ist umfangreich und eine Endlosschleife. Problemlos ist es möglich, ganze Wochenenden alleine mit der Diskussion des Ideologiebegriffs zu verbringen – sofern es die Zeit erlaubt.

Gerade in diesem Zusammenhang wird vor allem auch eines deutlich: Die Diskussion über Fundamentalismus und Moderne hat (traurige) Aktualität. Ein Gegenwartsbezug, der vor allem auch eines zeigt: Während sich die einen über diese Begriffe unterhalten können, liegen sie bei anderen neben ihnen im Schützengraben.

Eines zeigt die Diskussion dieser Begriffe jedenfalls: Dialog schafft Wissen und stellt es in Frage.

Zum Weiterlesen

  • Jürgen Habermas (1994): Die Moderne als unvollendetes Projekt. Leipzig: Reclam.
  • Klaus-Jürgen Bruder (1995): Das postmoderne Subjekt. Online hier.
  • Wallerstein, Immanuel (2012): Der Siegeszug des Liberalismus. (1789-1914). Wien: Promedia.

Salon Shabka

Der Salon will Raum für politische und gesellschaftliche Diskussionen schaffen. Alle paar Wochen wollen wir zusammen kommen, um uns abseits des sehr hektischen, raschen öffentlichen Diskurses, in dem oft simplifiziert wird, Argumente nicht gehört werden und sich meist der/die Stärkere durchsetzt, auszutauschen.

In diesem Rahmen soll intensiv und kontrovers, differenziert und abwägend, detailliert und kontextualisiert diskutiert werden. Gleichzeitig wollen wir auch der Atmosphäre akademischer Gesprächszirkel entgegenwirken, in der ein offenes Gesprächsklima meist auch nur Phantasie ist. Deshalb sind Kommentare und kritische Anmerkungen im Salon sehr willkommen.

Salons bisher:
#1 im Juni 2016 zu Identität, Migration und Literatur
#2 im August 2016 zu Kassandras Dilemma

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