Syrien als Trennungsgrund für Al-Qaida

Die Kampfhandlungen zwischen JN und ISIS haben die syrischen Rebellen geschwächt und Assads Armee auf dem Schlachtfeld Gebietsgewinne eingebracht. Für die westliche Sicherheitspolitik bedeutet dies, sich endgültig von dem Mythos des strukturierten Terrornetzwerkes mit hierarchischer Struktur zu verabschieden.

Schon seit letztem Jahr waren immer wieder heftige Kämpfe unter den verschiedenen Rebellengruppen in Syrien, so auch zwischen den beiden Al-Qaida Fraktionen Jabhat al-Nusra (JN) und dem Islamic State in Iraq and al-Shams (ISIS), zu beobachten. Am 2.Februar 2014 kam es schließlich zum ersten Mal in der Geschichte von Al-Qaida zu einer Spaltung zwischen der pakistanischen Al-Qaida Central (AQC) rund um Ayman al-Zawahir, ihrer Verbündeten Gruppierung in Syrien Jabhat al-Nusra, und einer ihrer nahestehenden Gruppierungen. So erklärte AQC in einem öffentlichen Statement, dass sie nicht länger Verbindungen zu dem irakischen Al-Qaida Ableger Islamic State in Iraq and al-Shams haben.

ISIS is not a branch of the Qaidat al-Jihad [al-Qaeda’s official name] group, we have no organizational relationship with it, and the group is not responsible for its actions.

Die Reaktion von ISIS erfolgte wenig später, als sie Ayman al-Zawahiri zu einem Verräter erklärten.

Der Streit zwischen JN und ISIS eskalierte weiter, als am 23. Februar 2014 Abu Khaled al-Suri, ein dschihadistisches Urgestein wenn man so möchte, entsandt von Ayman al-Zawahiri mit dem Auftrag, zwischen den beiden Gruppen zu verhandeln, durch einen Selbstmordanschlag von ISIS ums Leben kam. Am 24. Februar stellte al-Joulani, Kommandant von JN, ISIS ein Ultimatum mit dem Ziel, die Kämpfe zwischen den beiden rivalisierenden Gruppen einzustellen. Schließlich sollten die Feindseligkeiten vor einem unabhängigen islamischen Gericht entschieden werden, wie von Abdullah bin Mohammed al-Moheisini, einem einflussreichen salafistischen Prediger aus Saudi Arabien, vorgeschlagen wurde. Das Ultimatum endete am 28. Februar, wobei die Kampfhandlungen sowie die gegenseitigen Anschuldigungen unislamisch zu sein, unvermindert weitergingen.

Diesem Bruch sind bereits langjährige Spannungen zwischen AQC und ISIS vorausgegangen, die im Jahr 2005 während des Irak-Krieges begonnen haben und neuerlich ab Mai 2013 im Zuge der Syrienkrise und dem vermehrten Engagement dschihadistischer Akteure im Bürgerkriegsgebiet aufflammten. Aber auch ideologische sowie machtpolitische Faktoren zwischen AQC und JN auf der einen und ISIS auf der anderen Seite spielen eine große Rolle in diesem Bruderzwist.

Dschihadistische Lehren aus dem Irak

ISIS wurde 2004 im Irak als Reaktion auf die US Intervention unter dem Namen Jama’at al-Tawhid wa’al-Jihad gegründet, wobei sie in den darauf folgenden Jahren ihren Namen mehrmals änderte. Jene von Abu Musab al-Zarqawi gegründete Gruppe machte bald unter dem weit bekannteren Namen Al-Qaida im Irak (AQI) in westlichen Medien Schlagzeilen. Diese wurden nicht bloß durch das äußerst brutale Vorgehen von AQI gegen den irakischen Sicherheitsapparat oder die Besatzungstruppen gefüllt, sondern vor allem durch das gezielte Töten der eigenen Zivilbevölkerung. Religiös gerechtfertigt wurden die Angriffe auf die sunnitische Bevölkerung durch das Prinzip des takfir, eine Praxis, bei der andere Muslime zu Ungläubigen, also zu kafir, erklärt wurden. Dies, sowie die drakonischen Strafen, die von AQI für einen Rechtsbruch vorgesehen waren, führten bald zu einem Verlust des Rückhaltes in der eigenen Bevölkerung. Als ein ganz bedeutender Schritt der irakischen Zivilbevölkerung gegen AQI können hier die Sahwa (Erwachen) Milizen angeführt werden. Diese paramilitärischen Einheiten gründeten Wehrdörfer, um den Einfluss von AQI zurückzudrängen und wurden 2007 sogar von den USA unterstützt. Im Jahr 2005 kam es schließlich zu einem Briefwechsel zwischen Ayman al-Zawahiri (AQC) und der AQI, wobei Zawahiri seine irakischen Verbündeten ersuchte, von der Praxis des takfirs abzugehen und die Zivilbevölkerung zu schonen. Die Briefe Zawahiris blieben wohl ungehört, was das Vorgehen der ab 2013 in ISIS unbenannten Gruppe in Syrien verdeutlicht.

Al-Qaida im syrischen Bürgerkrieg

Das Auftreten von ISIS im syrischen Bürgerkrieg war bereits von Anfang an durch enorme Verwirrungen nicht bloß auf Seiten westlicher Beobachter, sondern auch von Kämpfern vor Ort begleitet. Anfang April 2013 verkündete al-Baghdadi, dass der syrische Al-Qaida Ableger Jabhat al-Nusra von seiner Organisation AQI, die damals bereits offiziell Islamic State in Iraq (ISI) genannt wurde, ausgerüstet und finanziert wird und sich beide Organisationen nun zu ISIS zusammengeschlossen hätten. Das Dementi von Mohammed al-Joulani, JN Kommandant und langjähriger Weggefährte Zarqawis und Baghdadis, kam wenig später und hinterließ selbst die eigenen Mitglieder mit einer gewissen Ratlosigkeit, was aus diversen Twitter Meldungen der Dschihadisten herauszulesen war, wenngleich es auch in den Monaten davor eine enge finanzielle und organisatorische Kooperation zwischen ISI und JN gegeben hat. Neben der kontinuierlichen rhetorischen Ablehnung durch al-Joulani war dieser in den darauffolgenden Wochen jedoch darauf bedacht, immer wieder eine enge Zusammenarbeit der beiden Gruppen zu betonen, was anfangs auch auf dem Schlachtfeld zu beobachten war. In Folge dessen plädierte selbst der Kopf des globalen Al-Qaida Netzwerkes Aiman al-Zawahiri für die Beibehaltung der Trennung, was jedoch in einem darauffolgenden Statement von Al-Baghdadi völlig ignoriert wurde. Zu diesem Zeitpunkt war der Machtkampf zwischen al-Zawahiri und al-Baghdadi bereits entbrannt und konnte in den folgenden Monaten auch am Feld beobachtet werden, als die ersten blutigen Kämpfe zwischen den beiden Fraktionen ausbrachen.

Die unterschiedlichen Strategien von JN und ISIS auf den syrischen Schlachtfeldern führte bald zu weiteren Auseinandersetzungen zwischen diesen. Während ISIS wie im Irak gezielt auch Zivilisten als legitime Ziele ansah, scheint JN aus den Fehlern des al-Qaida Kampfes im Irak gelernt zu haben und sah weitgehend von dem bereits angesprochenen Prinzip des takfir ab. Auch der Zusammenschluss JN mit anderen dschihadistischen Gruppierungen zur Islamic Alliance Ende September 2013, die zum Teil weniger religiös motivierte Kämpfer in ihren Reihen duldeten, war für ISIS ein Affront. ISIS alsbald isoliert, verlagerte schließlich ihren Kampf gegen andere säkulare Rebellengruppen und ging weniger gegen die Regierungstruppen vor. Ihre militärische Strategie dabei war es, die von Rebellen besetzten Städte durch die Hintertür einzunehmen, als diese aus den Städten auszogen, um gegen Assad zu kämpfen. So konnte ISIS relativ rasch ein großes Territorium im Norden Syriens bis hin zur irakischen Grenze besetzen. In den letzten Monaten wurde ISIS jedoch durch das koordinierte Vorgehen von JN und der Islamic Front stark geschwächt und musste einen großen Teil ihres Territoriums einbüßen.

Die Zukunft des globalen Dschihadismus

Diese seit Jahren andauernden Spannungen zwischen den beiden Al-Qaida Fraktionen verdeutlicht einmal mehr, dass es sich bei dieser Gruppierung nicht um eine homogene Struktur handelt wie so oft in Medien dargestellt. Vielleicht wurde dies in einer Post-Kalten Krieg Ära nötig, um ein neues Phänomen verständlich, ja erklärbar zu machen, doch hat es mit den Realitäten am Boden wenig zu tun. Vielmehr handelt es sich bei Al-Qaida wohl um eine Art Franchising Unternehmen, bei dem der Name selbst als Schreckgespenst für den Westen ein wesentliches Moment einnimmt. Jedoch ist wohl davon auszugehen, dass all die verschiedenen Al-Qaida Gruppierungen, die sich im arabischen- und afrikanischen Raum gebildet haben, nicht bloß ideologisch, sondern auch organisatorisch über eine gewisse Art der Zusammenarbeit verfügen. Zusammengehalten wurde diese jedoch durch die charismatische Führungspersönlichkeit Osama bin Laden, was wohl al-Zawahiri, der weniger charismatische und gewichtige Nachfolger, nicht mehr gelingen wird. Die Geschehnisse der letzten Monate deuten darauf hin und werden wohl noch weitreichende, alle anderen Gruppierungen umfassende Implikationen haben. So sind bereits Berichte aufgetaucht, dass die somalische Al-Shabaab Miliz sowie die indonesische Mujahidin Indonisia Timur, zwei weitere Al-Qaida Gruppierungen, al-Zawahiri und seiner AQC die Treue geschworen haben. Abu Al-Huda Al-Sudani, ein Al-Qaida Veteran, der sich momentan vermutlich in Afghanistan aufhält sowie acht seiner Weggefährten haben hingegen al-Baghdadi und ISIS ihr Treueverhältnis ausgesprochen. Es hat fast den Anschein, als ob sich nun die verschiedenen Milizen zwischen AQC und ISIS entscheiden müssten. Für die westliche Sicherheitspolitik bedeutet dies hingegen, sich endgültig von dem Mythos des wohl strukturierten Terrornetzwerkes mit hierarchischer Struktur zu verabschieden und seine weitere Vorgehensweise und Analyse dahingehend zu schärfen.

Für die Lage in Syrien sind wohl weitere schwere Auseinandersetzungen zwischen JN und ISIS zu erwarten sowie ein koordiniertes Vorgehen aller dschihadistischen Gruppierungen gegen ISIS. Von einigen westlichen Kommentatoren wird das geschlossene Vorgehen von JN und anderen Gruppierungen gegen ISIS als positive Entwicklung dargestellt, da es nun auch moderateren Kräften möglich ist Gebiete zu halten. Die Kampfhandlungen untereinander haben jedoch die gesamte Rebellenbewegung geschwächt hinterlassen und Assads Armee auf dem Schlachtfeld weitere Gebietsgewinne einbringen können, was sich bereits in den letzten Wochen abgezeichnet hat. Der Triumph von JN gegenüber ISIS in Syrien hat dazu geführt, dass AQC nun möglicherweise den Versuch unternehmen wird, Syrien als neue AQC Hochburg aufzubauen. So ist bereits Abdul Moshen Abdullah Ibrahim al-Sharikh, ein AQC Ideologe, in Syrien eingetroffen, wobei vermutet wird, er wurde mit der Aufgabe, eine Verbindung zu den Abdullah Azam Brigaden im Libanon herzustellen, entsandt.

Die nächsten Monate werden wohl zeigen, welche der beiden Gruppen sich in der internationalen dschihadisten Szene durchsetzten kann und welche Rückwirkung dies auf den Bürgerkrieg in Syrien haben wird.

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