Der politische Islam in der Praxis

Tunesien, drei Jahre nach dem Aufstand

Die jüngsten Ereignisse in den Ländern des sogenannten arabischen Frühlings stellen eine doppelte Bestätigung der Orientalismusthese Edward Saids dar. Einerseits zeigt die radikal unterschiedliche Entwicklung in der Folge der Volksaufstände von Syrien, über Ägypten bis Libyen und Tunesien, dass von einer einheitlichen „orientalischen Kultur“ oder gar Mentalität nicht die Rede sein kann. Andererseits sind sowohl die Politik als auch die Interpretationen in den westlichen Medien nach wie vor geneigt, die Ereignisse in der arabischen Welt über einen Kamm zu scheren. Beleg dafür ist unter anderem das hartnäckige Festhalten an der Vision eines moderaten politischen Islam (im Folgenden Islamismus), der aufgrund seiner sozialen Verankerung in allen diesen Ländern der einzige Garant für stabile und sichere Verhältnisse zu sein hätte. Diese Konzeption, die auf Präsident Bushs zweifelhafte „Demokratieinitiative“ für die arabische Welt zurückgeht, wurde auch in Europa weitgehend unkritisch übernommen, wo man es aufgrund der langen gemeinsamen Geschichte mit der arabischen Welt eigentlich besser wissen sollte.

Zwischen Naivität und Kalkül

Die Gründe dafür sind –  neben politischer Naivität und Blindheit und den von E. Said herausgearbeiteten systematischen Vorurteilen eines angeblichen arabischen Despotismus und Fatalismus –  natürlich auch wirtschaftlicher und politischer Natur. Die Islamisten in ihrer vorkapitalistischen Denkweise sind generell Anhänger des freien Marktes und lehnen die neoliberale Globalisierung lediglich auf sozialem und kulturellem Gebiet ab. Ihre uneingeschränkte Herrschaft würde den westlichen Konzernen den weiteren Zugriff auf die Bodenschätze der Region erleichtern und die Privatisierung  der in den arabischen Ländern weitgehend noch in staatlicher Kompetenz befindlichen Wirtschafts- und Sozialsysteme ermöglichen, was den westlichen Multis saftige Gewinne bringen könnte.

Tunesien, bietet zu Jahresbeginn ein überraschendes Schauspiel eines friedlichen Machtwechsels. Wie überall in der Region stehen sich religiöse Traditionalisten und linke bzw. liberale Modernisierer gegenüber. Doch die scheinbar unausweichliche gewaltsame Konfrontation  beider Lager, wie sie in einigen Nachbarländern vorexerziert wurde, konnte durch einen langwierigen und mühsamen Dialog zwischen gewählten und außerparlamentarischen Institutionen, unter der Patronanz der mächtigen Gewerkschaft, bis auf Weiteres verhindert werden. Gerade rechtzeitig vor Beginn der Gedenktage zum Bürgeraufstand vor drei Jahren hat die islamistisch dominierte Regierung zu Gunsten eines neuen, politisch unabhängigen Premiers demissioniert, der eine neutrale Expertenregierung mit dem Ziel der Vorbereitung fairer Wahlen gebildet hat. Bei dieser Entscheidung war aber vielmehr der monatelange Druck der Zivilgesellschaft sowie die ungünstige geopolitische Situation (Rückschläge für Islamisten in Syrien, Ägypten und in der Türkei) ausschlaggebend.

Die gute Nachricht ist, dass die seit den bisher unaufgeklärten politischen Morden Anfang 2013 erfolgte  Blockierung der politischen Situation damit beendet wurde und lange vernachlässigte Agenden wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückten, wie etwa notwendige soziale und wirtschaftliche Veränderungen. Denn die eben zurückgetretene Regierung hinterlässt einen Scherbenhaufen, der mit den Erwartungen an die „Revolution“ nichts gemein hat. So konstatierten 35% der Tunesier in einer Meinungsumfrage Anfang 2014, dass unter dem Diktator Ben Ali die soziale Lage besser gewesen sei.

War es überhaupt eine Revolution?

Hier gehen die Meinungen nach wie vor weit auseinander und oszillieren zwischen der Interpretation einer spontanen Volkserhebung und eines von externen Akteuren inszenierten Umsturzes. (vornehmlich den USA bzw. den Golfstaaten)

Wie dem auch sei, die Ereignisse seither zeigen, dass – wie oft in der Geschichte – die wirklichen Akteure von ihrer Revolution nicht profitierten und die damit verbundenen Erwartungen bisher nicht eingelöst wurden. Die marginalisierten Gebiete im Landesinneren warten nach wie vor auf Investitionen, die Jungen, die den Aufstand getragen hatten, sind weiterhin arbeitslos und die gleichfalls im Umsturz sehr aktive modernistische Zivilgesellschaft fand sich nach den Wahlen 2011 vornehmlich auf außerparlamentarische Aktivitäten reduziert. Dahingegen gewannen die Islamisten eine relative Mehrheit, die sie geschickt durch Allianzen mit einigen Kleinparteien in eine absolute verwandelten. Diesen reichlich unerwarteten Erfolg interpretierten die Anhänger eilig als Gottesgeschenk und als Auftrag zu einer Re-Islamisierung der Gesellschaft.  Denn der in Tunesien traditionell praktizierte malekitische Islam ist relativ liberal und pazifistisch. Dies trifft so gar nicht nach dem Geschmack der Geldgeber aus den Golfstaaten. Man versuchte in den letzten drei Jahren gesellschaftspolitisch reaktionäre Verhältnisse herzustellen, wobei das Modell nicht einmal in der eigenen Tradition, sondern in der wahabitischen Golfregion gefunden wurde.

Islamistische Parallelstrukturen

In der Praxis erfolgte dies durch Untergrabung der staatlichen Autorität auf allen Gebieten, was angesichts der Turbulenzen nach dem Umsturz ein leichtes Spiel war: islamistische Parallelstrukturen auf dem Gebiet der Erziehung (Schulen, Kindergärten) der Gesundheit, der Wirtschaft, vor allem im informellen Sektor, der öffentlichen Sicherheit und sogar der Religion schossen, reichlich finanziert, aus dem Boden. Längst überholt geglaubte Rechtsformen wie religiöse Stiftungen (habous) und lockere Zeiteheverträge (orfi) wurden legalisiert bzw. toleriert. Radikale Imame aus Saudiarabien und Ägypten konnten ungestraft etwa über die Vorteile der weiblichen Geschlechtsverstümmelung (Exzision) und der Polygamie  predigen.  Dazu kam die Herabwürdigung der bisher unangetasteten nationalen Symbole wie Hymne und Fahne, die Kriminalisierung der nationalen Unabhängigkeitsbewegung unter Bourguiba und die Aggression gegen alles, was Kunst und Kultur seit der Unabhängigkeit vollbracht hatten und vollbringen. Die gerade erst unabhängig gewordenen Medien wurden als Feinde des Islam (für die Djihadisten de facto ein zu vollziehendes Todesurteil) beschimpft. Die laizistischen und modernistischen Kräfte, Linke wie Rechte, wurden als kolonialer Abfall, als „les dechets de la francophonie“ denunziert. Als letztlich kontraproduktiv stellte sich aber die Bekämpfung der Symbole der „heidnischen“ Volksreligiosität, insbesondere die Zerstörung der Marabout-Grabstätten dar, die den Islamisten viele Sympathien kosteten.

Diese von den selbsternannten Wächtern der Revolution getragene radikale islamistische Bewegung, der sich die offen tolerierten und immer stärker werdenden Salafisten anschlossen, gipfelte 2013 in der noch immer unaufgeklärten Ermordung zweier linker oppositioneller Abgeordneter, Mohammed Brahmi und Chokri Belaid. Nach Meinung vieler Beobachter liegt dafür die politische Verantwortung bei der Ennahda-Regierung, die den Radikalen zu viel Spielraum gelassen bzw. sie sogar unterstützt hätte. Die von der Zivilgesellschaft daraufhin organisierten Massendemonstrationen brachten die Revolutionsagenda wieder auf die Tagesordnung und zwangen die Regierenden zu Mäßigung und zu Konzessionen, deren wichtigste der schon erwähnte Regierungswechsel ist.

Vorläufiger Rückzug mit Charmeoffensive

Der vorläufige islamistische Rückzug von der Macht in Tunesien erfolgt eher der Not gehorchend als aus eigenem Drang. Angesichts der wirtschaftlichen Probleme, des Widerstands der Opposition und der Zivilgesellschaft und chaotische Verhältnisse befürchtende internationale Geldgeber, wie  insbesondere der Weltwährungsfonds, wählten sie einen Schritt zurück und hoffen, später mindestens zwei nach vorne machen zu können. Die Chancen dafür sind aber angesichts der herrschenden, durch eklatante Inkompetenz verursachten, Misere nicht allzu groß. Kein Wunder, dass Ennahda eine Charmeoffensive in Richtung Bevölkerung und Europa losgelassen hat: skandinavische Verhältnisse seien nun das Ziel, und die Islamisten der Ennahda wollten so werden wie die deutsche CDU. Glauben finden sie dafür bestenfalls in Europa, in Tunesien werden solche Deklarationen mehr als skeptisch beurteilt. Selbst der Regierungswechsel ist nur mit Vorsicht zu genießen, da die tatsächliche Macht nicht bei der Regierung liegt sondern weiterhin beim Parlament bleibt, das die neue Regierung jederzeit wieder ablösen könnte – wenn auch nur mit einer drei-fünftel Mehrheit.

Politisch kann man in Tunesien von einer parlamentarischen Diktatur sprechen. Die Ende 2011 für maximal ein Jahr gewählte Verfassungsgebende Versammlung agiert seit mehr als einem Jahr im gesetzesfreien Raum, da es weder ein gültiges Verfassungsrecht, noch einen verbindlichen Zeitrahmen, noch eine exekutive Gewalt gibt, die ihre Autorität einschränken könnte. Sie hat diese Lücke weidlich ausgenützt  und wird vermutlich noch ein Jahr, bis zu den nächsten Wahlen, im Amt bleiben können. Statt sich sofort und zügig  an die Arbeit an der neuen Verfassung zu machen, beschäftigte man sich zunächst einmal mit der Sicherung von Privilegien und Machtpositionen, wählte einen politisch genehmen Präsidenten und Premierminister und begann zu regieren,  wobei mit einer künstlichen Identitätsdebatte von den eigentlichen Aufgaben abgelenkt wurde. Parallel dazu wurde die staatliche Verwaltung an die islamistische Kandare genommen, Beobachter sprechen von mehr als 6000 fragwürdigen Nominierungen in höhere Positionen. Von der Verfassung hörte man in den ersten beiden Jahren nur wenig. Das sollte sich erst nach den politischen Morden, dem Auszug der frustrierten Oppositionsparteien aus dem Parlament und der damit einhergehenden Mobilisierung der Zivilgesellschaft ändern.

Tunesiens neue Verfassung – beispiel- oder mangelhaft?

Mittlerweile ist die Verfassung zum dreijährigen Jubiläum fertiggestellt. Sie wurde erst seit Dezember 2013 in speziellen Parlamentskommissionen diskutiert und dann von der Versammlung im Eilzugstempo verabschiedet. Ob es sich bei dem Ergebnis um eine Verbesserung gegenüber früher handelt, wird von vielen Rechtsexperten bestritten, die die alte, um ihre autoritären Inhalte bereinigte Verfassung von 1959 bevorzugten. Die neue ist bar jeglicher logischer und inhaltlicher Kohärenz und stellt ein weltanschauliches Nebeneinander dar, aus dem je nach den politischen Machtverhältnissen  alles herausgelesen werden kann: sowohl die Islamisten fänden eine ausreichende Basis, um einen para-religiösen Staat einzurichten, als auch die Modernisierer für das politische Gegenteil. Immerhin wird die Scharia doch nicht als Rechtsquelle erwähnt, das Volk als Souverän deklariert,  die Gleichheit der Geschlechter betont, die Emanzipation der Frau sogar unterstützt und die meisten der Grund- und Freiheitsrechte übernommen, wobei diesbezügliche internationale Abkommen nun aber nachgeordnet sind. Die seit Jahrzehnten nicht mehr vollzogene Todesstrafe wurde aber doch nicht abgeschafft und es bestehen Befürchtungen, dass es auch mit der bisher sehr freizügigen Abtreibungspraxis zu Ende geht. Ferner ist das verfassungsmäßige Ziel im Schul- und Universitätsbereich die Verstärkung der arabisch-muslimischen Kultur und nicht etwa eine Öffnung in Richtung Internationalität, Wissenschaft und Forschung. Dem entspricht, dass der Staat Garant der Religion und ihrer Werte sein soll, was im Widerspruch zur gleichfalls betonten Meinungsfreiheit steht. Als demokratiepolitisch problematisch sehen fortschrittliche Kräfte weiters die unzureichende Sicherung der  Unabhängigkeit der Richterschaft und es ist fraglich, ob der eben in die neue Verfassung aufgenommene Kompromiss nicht den alten autoritären Tendenzen Vorschub leistet.

Die neue Verfassung ist trotz ihrer mangelnden juridischen Professionalität ein nicht zu unterschätzendes Ergebnis demokratischer Auseinandersetzung. Sie ist ein Spiegelbild der aktuellen Machtverhältnisse im Land und bewirkte zahlreiche gesellschaftliche Lernprozesse. Allerdings ähnelt sie in wichtigen Bereichen der afghanischen und irakischen, insofern sie offensichtlich von US-Beratern beeinflusst ist. Der theoretische Hintergrund ist das orientalistische Credo der eingangs erwähnten und offenbar nach wie vor gültigen Bush-Initiative, nämlich die Auffassung, dass die säkularen und autoritären Regimes in der arabischen Welt nach der Unabhängigkeit durch Imitation Europas eine eigenständige Modernisierung verhindert hätten und nun durch demokratische und  moderate Islamisten abzulösen seien. Wie der tunesische Philosoph Abdelwahab Meddeb dazu darlegt, geht es dabei um ein zionistisches Trauma, nämlich die durch die Aufklärung verursachte Fragwürdigkeit der Modernität, der eine solide religiöse Verankerung, egal welcher Konfession vorzuziehen sei.

Soziale Probleme bleiben bestehen

Ungeachtet aller politischen Auseinandersetzungen, die für viele Bürger unverständlich sind bzw. zu abgehoben erscheinen, lebt die tunesische Bevölkerung in immer prekäreren Verhältnissen. Die wirtschaftliche Entwicklung ist in der Tat besorgniserregend: die Phosphatproduktion, Haupteinnahmequelle des Staates, war durch Streiks lange lahmgelegt und wichtige Märkte sind verloren gegangen, die Einkünfte aus dem Tourismus sind wegen der latenten Terrorismusgefahr eingebrochen, der Dinar verliert ständig an Wert, die Staatsverschuldung steigt genauso wie die Inflation, die Arbeitslosenrate ist auf über 15% gestiegen, und liegt in manchen Regionen weit höher. Ein Viertel der 12 Millionen Tunesier lebt unter der absoluten Armutsgrenze (von 2 USD/Tag) und über eine Million ist nach den Kriterien der FAO unterernährt. Die Kaufkraft der Bevölkerung hat in den letzten drei Jahren um 15% abgenommen. Im Landesinneren wurde entgegen den vollmundigen Wahlversprechen praktisch kein wesentliches Entwicklungsprojekt gestartet, und es gibt nach wie vor nicht einmal eine entsprechende Planung. Die Notierung durch die internationalen rating Agenturen ist auf dem niedrigsten Niveau und wurde auf Wunsch der Regierung sogar teilweise ausgesetzt, was einem wirtschaftlichen Offenbarungseid gleichkommt.

Trotzdem wäre es übertrieben, von einer chaotischen Situation zu sprechen, denn schon allein die Bestellung des neuen Premierministers ließ die Börsenkurse wieder steigen und einige ausländische Firmen haben die offshore Produktion in Tunesien jüngst wieder aufgenommen. Die Weltbank erwartet für 2014 ein zwar gebremstes Wachstum des BIP von 2,5%, aber eine weitere Verbesserung  auf 3,5% für die Jahre danach. Die Wachstumsraten in den letzten Jahren der Diktatur von 5-6% werden aber so schnell nicht erreicht werden können. Diese doch nicht allzu schlechten Perspektiven sind aber nicht auf die derzeitige Regierungspolitik, sondern auf die in Jahrzehnten aufgebaute solide wirtschaftliche Struktur des Landes zurückzuführen.

Gibt es einen moderaten Islamismus?

Auf die Frage, ob es also doch einen moderaten Islamismus gibt, ist die Antwort angesichts der vielen Konzessionen, die Ennahda bisher abgerungen wurden, zwiespältig: moderat ist der politische Islam nur dann, wenn man ihn dazu zwingt bzw. seiner Aktion enge, am besten verfassungsmäßige, Grenzen setzt. Die seit Sommer 2013 von den Paten des nationalen Dialogs – vor allem Unternehmerverband und Gewerkschaft – erzielten bzw. erzwungenen Kompromisse zwischen Opposition und Parlamentsmehrheit entsprechen der Intervention durch eine Art Sozialpartnerschaft, der es zu gelingen scheint, die Islamisten von gewissen fundamentalistischen Positionen abzubringen. Tatsächlich gibt es immer wieder Gerüchte über eine Spaltung der islamistischen Bewegung in moderate und radikale Flügel, was der politischen Kultur im Lande nur gut tun könnte. Der politische Islam in seiner radikalen Form ist aber zweifellos am Ende, er kann in Tunesien angesichts der breiten Ablehnung des Wahabismus in der Bevölkerung höchstens ein Nischendasein führen. Das eher misslungene Experiment der Re-Islamisierung seit der Machtübernahme von Ennahda hat also unerwartet positive pädagogische Auswirkungen im Sinne einer Rückbesinnung auf die mit dem lokalen Islam durchaus kompatiblen Modernisierungsbemühungen, die in Tunesien bis ins vorkoloniale 19. Jahrhundert zurückreichen. Damit ist auch zu hoffen, dass die bisherigen, von der Identitätsfrage dominierten Diskussionen endlich Platz machen für den Entwurf einer Modernisierung im Interesse der breiten Bevölkerungsschichten, die sicher nicht in einer bloßen Verwestlichung zu suchen ist, sondern in einer mit den lokalen Bedingungen vereinbaren Neubestimmung der Entwicklungsziele. Die Diskussion, was an Stelle der bisherigen, simplen Fortschreibung der Entwicklungskonzepte der Diktatur – Tunesien als Billiglohnland verbunden mit Ghettotourismus – treten könnte, hat aber noch nicht einmal in  den fortschrittlichen Medien begonnen.

Um abschließend noch einmal auf Edward Said zurückzukommen: Orient und Orientalismus sind  ideologische Konstruktionen zur Beherrschung einer Region, die mehr über seinen Erfinder, den kolonialistischen Westen, aussagen als über die tatsächliche arabische Welt. Sie sind ein gedankliches Korsett, das den Blick auf die gegenwärtige außerordentliche soziologische Dynamik in diesen Gesellschaften verstellt und Quelle zahlreicher Fehleinschätzungen, wie beispielsweise die angenommene unausweichliche Fatalität islamistischer Machtübernahme. Die tunesische politische Praxis seit der „Revolution“ hat jedenfalls gezeigt, dass die zivile Gesellschaft sehr wohl mit solchen rückwärtsgewandten Ideologien umgehen kann. Es wäre mehr als absurd, wenn ausgerechnet die Europäer dieser mühsamen und friedlichen Bewältigung durch die Hofierung der Islamisten in den Rücken fielen.

REMINDER: von 23.04. – 24.04.2014 findet eine Veranstaltung zum Thema statt:
“Tunesien – Hoffnungsland des Arabischen Frühlings”
Wo? Urania Dachsaal – Uraniastraße 1 – 1010 Wien
Weitere Infos HIER

Dr. Mag. Wolfgang Achleitner, Sozialökonom, war seit 1977 in der Entwicklungszusammenarbeit in Lateinamerika und Afrika, und dort vor allem in Tunesien tätig. 

Eine längere Fassung wird demnächst in der Zeitschrift INTERNATIONAL erscheinen.

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