Neokolonialismus, Business und die Strategie des Terrors: Krieg in Mali

In den Mainstream-Medien wurde schon lange vor der militärischen Intervention in Mali eine Vermischung der Begrifflichkeiten und eine Ignoranz der Hintergründe betrieben: Djihadisten, Terroristen, Rebellen und Tuareg verschmolzen zu einem undurchschaubaren Amalgam. Auch der Eindruck, die französische Intervention diene allein der Bekämpfung islamistischer Extremisten, trügt. Die aktuellen Ereignisse in Mali sind vor dem Hintergrund eines Krieges um Ressourcen und einer damit einhergehenden Militarisierung der Region zu betrachten. Dieser Konflikt hat das Potential, die gesamte Sahara sowie den Sahel in eine Spirale weiterer Destabilisierung zu ziehen.

Die offensichtliche Eskalation in Mali begann im Jänner 2012, als eine Gruppe bewaffneter Tuareg das malische Militär aus dem Norden vertrieb und die Unabhängigkeit der Region Azawad ausrief. Die Rebellen wurden für ein Massaker von über 80 Militärs im kleinen Ort Ageulhoc bezichtigt. Daraufhin verweigerte die schlecht ausgerüstete malische Armee ihren Dienst und der in den USA ausgebildete Hauptmann Amadou Sanogo putschte gegen den seit 2002 amtierenden Präsidenten Amadou Toumani Touré, ATT genannt. Wenige Tage später proklamierten Tuareg, die sich in der MNLA (Mouvement Nationale pour la Liberation d´Azawad) formierten, die Unabhängigkeit von Mali und riefen den Staat Azawad aus. Malische und europäische Nachrichtenagenturen setzten die Tuareg mit islamistischen Extremisten gleich und beschrieben sie als »bewaffnete Banditen«, »Drogenhändler«, AQMI-Kollaborateure« und »Gaddafi-Söldner«: Der Beginn des Amalgams, aber nicht der Beginn der Krise.

Wurzeln der Krise

Im 19. Jahrhundert wurde bei den Tuareg die Idee auf Unabhängigkeit geboren, die sie am Ende der 77 Jahre andauernden französischen Kolonialherrschaft aufgeben mussten. Der neu geborene Staat Mali beharrte darauf, den Norden innerhalb seines Territoriums zu belassen, zum einen weil schon damals immense Bodenschätze auf diesem Gebiet vermutet wurden, zum anderen, weil Bamako die Tuareg als »an other within«[1. Lecocq, 2010: 365] verstanden.

Nach der Unabhängigkeit 1960 dauerte es daher nur ein paar Jahre, bis die erste Tuareg-Revolte 1963-64 ausbrach. Sie rebellierten ein weiteres Mal zwischen 1990 und 1996, ein drittes Mal 2006 und ein viertes Mal 2008. Die Vergeltungsschläge der malischen Armee an Zivilisten hinterließen eine tief traumatisierte Tuareg-Gesellschaft und ein ethnisch gespaltenes Land. Die Forderungen der Tuareg waren stets dieselben: Politische Dezentralisierung und eine soziale und ökonomische Entwicklung ihrer Region.

Nachdem diverse Friedensabkommen unter der Vermittlung Algeriens keinerlei Verbesserungen für den benachteiligten Norden brachten, wurde letztes Jahr von der MNLA schlussendlich die Separation vom malischen Staat gefordert. Doch während man postsozialistischen Staaten seit den 1990ern politische Unabhängigkeit gewährt, so scheint diese Prämisse nicht für afrikanische, kolonial geprägte und willkürlich zusammengestoppelte Staaten zu gelten. Die territoriale Integrität Malis steht in politischen Kreisen unumstritten fest.

Freiheit für Azawad

Die Kämpfer der MNLA sind Tuareg-Rebellen mit nationalistisch-laizistischer Ausrichtung, die sich von jeglicher Prägung religiöser Natur distanzieren. Ihnen geht es um politische Ziele. Aufgrund ihrer jahrzehntelangen Integration in die libysche Armee verfügen sie über gutes militärisches Know-how und als Folge des Libyen-Krieges über ein großes Kontingent an Waffen. Hier rächt sich der (vor allem von Frankreich) vorangetriebene Krieg gegen Libyen, mit dem Ziel Mu´ammar al-Qaddafi zu stürzen. Zum einen war al-Qaddafi der Stabilisator der Region, der mit dubiosen Methoden, finanziellen Lockmitteln und stets eigenen Interessen dienend ganze Regionen ruhig und stabil halten konnte. Zum anderen sind die Sahara und der Sahel nun mit hochmodernen Waffen überschwemmt, die nicht nur den Tuareg dienen, sondern auch in die Hände von Banditen und mafiösen Gruppierungen gerieten. Man kann hier von einer völlig neuen Qualität von Kriminalität ausgehen.

Das von den Rebellen umkämpfte Gebiet nimmt einen großen Teil des Landes ein. Grafik: Lukas Wank
Das von den Rebellen umkämpfte Gebiet nimmt einen großen Teil des Landes ein. Grafik: Lukas Wank

Wesentlich ist hierbei, dass die Tuareg (der MNLA) zum ersten Mal eine reale Chance auf militärischer Ebene hatten. Doch die Deklaration von Azawads Unabhängigkeit fand weder nationales noch internationales Gehör. Es mag daran liegen, dass sich die MNLA daraufhin mit der neu entstandenen Tuareg-Gruppe Ansar ad-Din vereinte, um noch stärker zu werden. Ansar ad-Din torpedierte jedoch die rein nationalistischen Forderungen der MNLA, proklamierte Schariatsgesetz für den gesamten Norden und brachte die Tuareg in Verbindung mit extremistischen Islamisten.

Iyad ag Aghali, Vorzeige-Islamist und »Whiskey trinkender Rebell«

Der Führer von Ansar ad-Din, Iyad ag Aghali, ist eine undurchsichtige Person. Er war einer der großen Führer der Tuareg-Rebellion in den 1990ern, lokaler Vermittler in zahlreichen Entführungsfällen (u. a. 2003 als 32 europäische TouristInnen in Algerien entführt wurden), Diplomat im malischen Konsulat in Saudi-Arabien, bis er schließlich zum militanten Islamisten mit engsten Verbindungen zu Terroristen wurde. Dazu soll er – wie alle Anführer der islamistischen Extremisten – engste Verbindungen zum algerischen Geheimdienst, dem DRS (Département Renseignement et Sécurité), pflegen. Kritische Stimmen sehen in Iyad ag Aghali eine Marionette des DRS, die darauf abzielt die MNLA nachhaltig zu schwächen. Algerien hätte kein Interesse an einer starken Tuareg-Opposition, ganz im Gegenteil. Denn es befürchtet ein Erstarken seiner eigenen Tuareg im Süden, vor allem der Kabylei-Berber, die sich sehr stark für die Forderungen der MNLA begeistern. Durch das Bündnis mit Ansar ad-Din wurden die laizistischen Tuareg mit islamistischen Extremisten vereint und hatten damit nachweislich Kontakte zu AQMI.

Die Legitimation des »Krieges gegen den Terror«

Und damit kommen wir zu den Big Playern in diesem Spiel: AQMI (al-Qaeda du Maghreb Islamique) bzw. deren Splittergruppe MUJAO (Mouvement pour l´unicité et le Jihad en Afrique de l´Ouest) sowie deren Verwobenheit mit algerischen und US-amerikanischen Military Intelligence Services.

AQMI stammt ursprünglich von bewaffneten islamistischen Gruppen ab, die als GIA (Groupe Islamique Armée) bezeichnet wurden und im algerischen Bürgerkrieg in den 1990ern gegen die Zivilbevölkerung wüteten. Ein Teil von ihnen formierte sich anschließend in der GSPC (Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat), die sich für die ersten Entführungen in der algerischen Sahara 2003 verantwortlich zeigte und damit den Beginn des Krieges gegen den Terror einleitete.

Diese Entführungen waren vom algerischen Geheimdienst inszeniert, um die Region als eine potentielle Zone des Terrorismus zu brandmarken und den USA einen Grund für ihre geplante Militarisierung der Region zu geben.[2. Siehe Keenan, 2009.] Dabei ließen sich US-amerikanische und algerische Interessen gut vereinen. Im Ressourcenwettlauf gegen europäische und vor allem chinesische Konkurrenz benötigen die USA eine ideologische Rechtfertigung für eine Militarisierung Westafrikas. Schon 2007 erklärten die USA ihre Ölexporte aus Westafrika von 13 Prozent bis zum Jahre 2015 auf 25 Prozent steigern zu wollen.

Algeriens Motivation am inszenierten Kampf gegen den Terror mitzuwirken lag in seinem Wunsch der internationalen politischen Rehabilitation nach dem Bürgerkrieg. Es verfolgte seit den 1980ern einen pro-amerikanischen Kurs, da man in den USA einen verlässlicheren Partner sah, als in den europäischen und französischen Nachbarn, zu denen man ohnehin ein ambivalentes Verhältnis pflegte. Zudem benötigte Algerien militärische Unterstützung, um seine hegemonialen Ziele in Westafrika zu erreichen und sich gegen al-Qaddafi behaupten zu können. Die USA wiederum brauchten einen Verbündeten in Afrika und fanden in Algerien einen geostrategisch prädestinierten Partner.

Seitdem haben die USA eine Reihe von Operationen zur Bekämpfung des Terrorismus in Westafrika initiiert (PSI, TSCTI, ATA, TIP, IMET, GPOI), die 2007 schließlich in die Gründung von AFRICOM mündeten. Im gleichen Jahr benannte sich die GSPC in AQMI um und bekam dadurch eine international furchteinflößende Komponente. Auch wenn die Verbindungen zu Osama bin Laden nur ideologischer Art waren und sie stets eigenständig operierten, so reichte es aus, AQMI als eine internationale Bedrohung zu stilisieren.

AQMI und die »politische Ökonomie des Terrorismus«

AQMI verbindet »taktischen Opportunismus und operative Vielschichtigkeit«[3. Mohammed Mahmoud Ould Mohamedou, 2011.] und agiert als ein transnationales, kriminelles und terroristisches Netzwerk. AQMI geht es vordergründig und medienwirksam um »Djihad«, um den heiligen Krieg, und die Einführung des Schariatsrechts. Ihr Mix aus radikal-salafistischer Rhetorik mit der Zerstörung lokaler Heiligtümer und Bibliotheken, der Durchführung von Straf-Amputationen, verpflichtender Verschleierung der Frauen, Verbot von Musik, etc. ergibt eine explosive Mischung, die eine militärische Intervention in der (westlichen) Öffentlichkeit legitimiert. Im Hintergrund operiert AQMI als ein ökonomisches Netzwerk, das seine finanzielle Stärke aus mehreren Quellen bezieht: Kokainschmuggel bzw. informelle Taxen auf diesen, Entführungen von EuropäerInnen, Waffenhandel und Zuwendungen aus Saudi-Arabien und Katar. AQMI bekommt regen Zulauf aus der Lokalbevölkerung, teils aus ideologischen, teils aus rein finanziellen Gründen. Für viele, an der Armutsgrenze dahinvegetierende, perspektivlose Jugendliche sind ein paar hundert Euro im Monat ein großer Anreiz.

Seit 2003 konnte AQMI kontinuierlich an Einfluss gewinnen, ohne dass sich Mali oder die Nachbarstaaten jemals ernsthaft gegen sie gestellt hätten. Von Anfang an wurden sie an der Leine des algerischen Geheimdienstes geführt und das dürfte bis heute gelten, sind sich KennerInnen der Region einig.

Kokain, das weiße Gold der Sahara

Neben der vordergründig ideologisch motivierten salafistischen Komponente agiert AQMI vielmehr als eine kriminelle terroristische Organisation, die mit dem Kokainschmuggel ein wesentliches Standbein ihrer organisierten Kriminalität abdeckt. Der Kokainschmuggel von Südamerika über die Küste Westafrikas, den Norden Malis und weiter über Mauretanien, Marokko oder über Niger, Algerien, Libyen, Ägypten nach Europa nahm von drei Tonnen im Jahr 2004 auf 47 Tonnen im Jahr 2007 zu, bis er 2008 auf 21 Tonnen sank. Das sind immerhin noch 14 Prozent des insgesamt nach Europa importierten Kokains. Die Preise sprechen für sich: In Guinea Bisau zum Beispiel kostete im Juni 2010 ein Kilogramm Kokain 7.000 Euro, in Mali bereits 15.000 und 27.000 in Marokko. In Europa wird ein Kilogramm im Großhandel mit bis zu 78.000 Euro gehandelt.[4. Siehe UNDOC (United nations Office on Drug and Crime), The Transatlantic Cocaine Market, Research Paper, April 2011.]

Nicht nur AQMI ist in den Schmuggel involviert, viele Araber und Tuareg arbeiten als Kuriere, oder aber beliefern die Schmuggler mit Treibstoff. Das Business ist gefährlich, aber der Verdienst immens hoch.

Mokhtar Belmokhtar, der sich zur Geiselnahme der Erdgasförderanlage in In Amenas in Algerien bekannte, ist einer der führenden Köpfe von AQMI. Seine Gruppe (katiba) ist je nach Quelle selbst aktiv im Schmuggelgeschäft, oder aber erhebt informelle Taxen auf alle geschmuggelten Waren. Er machte sich in den 1980ern einen Namen als Tabakschmuggler und bekam neben zahlreichen Spitznamen und Alias jenen des Mr. Marlboro. Der Zigarettenschmuggel von Lomé (Togo) über die Sahara nach Algerien und Libyen hat jedoch an Bedeutung verloren, dafür ist das Kokain an seine Stelle getreten.

Diverse Studien konzentrieren sich immer wieder auf die Verwicklung von AQMI im Drogenschmuggel, vernachlässigen dabei aber ihre Verbindungen zu staatlichen Offiziellen und politischen Führern. Spätestens seit im November 2009 eine Boeing 727 aus Venezuela in der Region von Gao in Mali abstürzte, die zwischen sieben und elf Tonnen Kokain geladen hatte, wurde klar, dass malische Offizielle tief in den Schmuggel involviert sind. Anstelle jedoch die Vorkommnisse zu untersuchen, versuchte der Ex-Präsident ATT den Skandal herunterzuspielen. Die Wochenzeitung Jeune Afrique[5. Siehe: www.jeuneafrique.com/Article/ARTJAWEB20110810085636/algerie-france-canada-developpementmali-att-lance-sa-strategie-anti-aqmi-de-developpement-du-nord.html.] berichtete von einer aktiven Komplizenschaft zwischen malischen Autoritäten und AQMI, einem Schutz, der den Drogenhändlern von hohen offiziellen Stellen zugestanden wird, und einer malischen Armee, die zwar nicht ideell, aber finanziell von AQMI infiltriert ist.

Gleichzeitig lässt Mali zu, dass ein Amalgam zwischen den Terroristen (AQMI, MUJAO, Ansar ad-Din) und den Gesellschaften des Nordens (in erster Linie Tuareg, MNLA) gemacht wird, um ihre Forderungen zu diskreditieren. Auch Algerien instrumentalisiert das Problem aus Interesse an nationaler Stabilität, den Ressourcen und ihren imperialen Bestrebungen in der Region.

Lukrative Entführungen

Seit 2003 wurden in der Sahara und im Sahel insgesamt 54 EuropäerInnen entführt. Die Entführungen sind ein taktischer Zug um Geld und Forderungen zu erpressen und stellen ein wesentliches Charakteristikum von AQMI dar. Damit unterscheiden sie sich maßgeblich von al-Qaida in Afghanistan und Pakistan.

Für alle bislang Freigelassenen wurden pro Person zwischen eineinhalb und drei Millionen Euro bezahlt, auch wenn dies von einzelnen EU-Staaten stets bestritten wird. Es ist weithin bekannt, dass weißer Skalp gewinnbringend ist. Daher gibt es lokale Akteure die EuropäerInnen entführen und lukrativ an AQMI weiterverkaufen. Die rund ein Dutzend noch entführten Personen (darunter vier seit September 2010 entführte Franzosen aus der französischen Uranmine AREVA in Nord-Niger, für die 100 Millionen Euro gefordert werden) konnten auch durch die französische Intervention nicht frei gebracht werden. Im Gegenteil: Boko Haram, eine der AQMI nahe stehende nigerianische Gruppierung, führt die Tradition der Entführungen fort und reagiert damit auf die französische Intervention.

Uran, Öl und Gas

Wieder und wieder wird uns von französischer Seite vorgekaut, dass die Intervention in Mali nur zum Ziel hat, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen, die territoriale Integrität Malis zu wahren und das Leben der Zivilbevölkerung zu schützen. Besser beschreiben es hier kritische Stimmen, die Frankreich imperiale Interessen und die Wahrung der »kolonial etablierten Ordnung«[6. Siehe Werner Ruf , 2013.] vorwerfen und in der Legitimation der UN-Resolution einen politischen Kraftakt sehen.

In Wahrheit steht der Zugang zu Ressourcen in Gefahr. Öl, Gas, Uran und Phosphate lagern dort, wo die islamistischen Extremisten ihre Basen errichtet haben. Und es geht nicht nur um die Bodenschätze auf malischem Territorium, sondern auch um die Sicherung jener im benachbarten Niger. Hier exploriert der französische Energiekonzern AREVA seit 40 Jahren Uran und liefert damit 40 Prozent des französischen Energiebedarfs. Dass der Lokalbevölkerung, den Tuareg, außer verstrahltem Boden und kontaminiertem Wasser nichts bleibt und jegliche soziale Forderungen sowohl von AREVA, als auch vom nigrischen Staat ignoriert werden, braucht an dieser Stelle nicht erwähnt zu werden. Drei erfolglose Tuareg-Rebellionen im Niger zeugen von der Ausbeutung multinationaler Konzerne.

Der Nordwesten Nigers, ebenfalls zur Azawad-Region gehörend, birgt weitere Uranvorkommen. Pachtverträge wurden bereits vom vorigen Präsidenten abgeschlossen. Die größten Parzellen ergingen an Kanada, Australien, Frankreich und Südafrika, weitere an China, Russland, Indien, Saudi-Arabien, USA und Großbritannien. Noch vor wenigen Jahren hätte sich der Abbau nicht gelohnt. Durch den steigenden Uranpreis werden jedoch auch vormals unlukrative Vorkommen interessant. Im Niger haben AREVA und der chinesische Konzern CGNPC (China Guandong Nuclear Power Holding Co Ltd) mit dem Aufbau der neuen Uranminen nahe Imouraren bereits begonnen.

Ähnlich verhält es sich mit Erdöl und Erdgas in Mali. In der Region von Taoudenni, nördlich von Timbuktu, lagern riesige Öl- und Gasvorkommen. Diese wurden auch schon in den 1960ern entdeckt, aber ähnlich wie beim Uran in der Region von Kidal, rentierte sich die aufwendige Exploration beim damaligen Ölpreis nicht. Seit 2004 jedoch nimmt das strategische Interesse an Westafrika permanent zu und Mali gab 65 Prozent des malischen Territoriums für Prospektionen frei. Vor allem italienische und algerische Konsortien (ENI und SIPEX, das zur algerischen Firma SONATRACH gehört) versprachen hohe Investitionen. Noch wurde nicht exploriert und Kritiker beschuldigen die Firmen ihre privilegierte Position auszunutzen, um mit Bestechungsgeldern Rebellionen anzufachen. Damit würden sie jene Destabilisierung hervorrufen, wie sie es schon im Niger getan hätten.[7. Siehe James, 2010.] 

Die Geister, die man rief …

Der islamistische Terrorismus, den Algerien und die USA 2003 in der Sahara und im Sahel inszenierten, um einen »Krieg gegen den Terror« und die Militarisierung der Region zu legitimieren, hat sich zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung gewandelt. Die gezielte Unterstützung von Terroristen ist ein geostrategisches Planspiel, ebenso wie deren mit medialem Spektakel betriebene Bekämpfung.[8. Siehe Ruf, 2013.] Im Interessensgefecht um Ressourcenkontrolle treten neben Frankreich, den USA und dem konkurrierenden China auch Saudi-Arabien und Katar auf die malische Bühne. Beide Staaten sind Verbündete der USA und beide finanzieren die islamistischen Terroristen (Katar unterstützte vor allem MUJAO und Ansar ad-Din). Auch die Europäische Union verfolgt vorwiegend neokoloniale Interessen, sei es in Libyen, sei es in Mali. Einzig ein belgischer Abgeordneter, Laurent Louis, sprach sich am 17. Jänner gegen eine belgische Beteiligung am Krieg aus und führt die wahren Hintergründe der Militärintervention an.[9. Siehe: www.youtube.com/watch?v=e5fsWKbUn5Y.]

Der Kampf gegen den Terror ist ein rhetorisches Argument, um Mali zu entmündigen, den Anspruch auf Ressourcen geltend zu machen und einigen multinationalen Konzernen das Monopol zuzusprechen (Mireille Fanon-Mendes France 2013). Dazu musste nur noch eine öffentliche Meinung geschaffen werden, die eine Intervention in Mali legitimiert: im Namen von Demokratie, der konstitutionellen Ordnung, zum Schutze des Kulturerbes und der Bevölkerung.

Um die Region in Zukunft kontrollieren zu können, hat die nigrische Armee amerikanische Militärs zur Unterstützung bekommen. Eine Drohnenbasis ist im Nord-Niger geplant, um ganz West-Afrika überwachen zu können – die logische Fortsetzung von AFRICOM, um »die nationalen Sicherheitsinteressen der USA zu sichern und zu verteidigen«[10. www.africom.mil/what-we-do.], wie im ersten Satz der offiziellen Homepage geschrieben steht.

»The dying Sahara«

Der Krieg gegen den Terror wird militärisch nicht zu gewinnen sein. Zum einen wie es Assan Ag Midal, ein nigrischer Targi (Sgl. mask. für Tuareg) ausdrückt: »Vous ne pourrez jamais chasser les terroristes sans faire plus des victimes dans les populations et cela risque de donner plus raisons aux terroristes.« – »Man kann niemals Terroristen bekämpfen, ohne Opfer in der Zivilbevölkerung zu riskieren und damit gewinnen die Terroristen wiederum an Boden«. Zum anderen ist es sinnlos, das kämpfende Fußvolk der Islamisten zu vertreiben bzw. zu vernichten, wenn die führenden Köpfe in den Nachbarstaaten Zuflucht finden und von dort aus gezielte Aktionen starten können. Nachdem die saharischen Grenzen kaum kontrollierbar und daher durchlässig sind, können sich die verbleibenden katibas in alle Richtungen ausdehnen. Jetzt droht eine Vernetzung aller islamistischen Kleingruppen vom Senegal, über Nigeria, den Tschad bis nach Somalia. Das Hauptargument der Rechtfertigung des Krieges in Mali war die potentielle Bedrohung für Europa, um ein Ausbreiten des Terrorismus zu verhindern. Nun breitet er sich erst recht aus. Vor der französischen Intervention war es ein lokales Problem, jetzt aber ist es zu einem überregionalen geworden. Die unmittelbaren sicherheitspolitischen Folgen treffen in erster Linie die Sahara- und Sahelstaaten. Dies könnte einen Dominoeffekt auslösen und involvierte europäische Staaten – vor allem Frankreich – werden mit Vergeltungsschlägen rechnen müssen.

Die gravierendsten Auswirkungen jedoch treffen Mali und seine Nachbarn. Aufgrund des islamistischen Schreckgespenstes ist der Tourismus in der gesamten Region zusammengebrochen und die humanitäre Situation ist nicht nur für die Flüchtlinge, sondern auch für die Lokalbevölkerung prekär.

In Arlit im Nord-Niger, einem Umschlagplatz für MigrantInnen bzw. Schmuggelwaren aller Art, tummeln sich die Fahrzeuge jener Kokain-Kuriere, die aus Mali vertrieben wurden. Der gesamte transnationale Verkehr zwischen Libyen, Algerien, Niger und Mali ist zusammengebrochen. Er lieferte nicht nur der Lokalbevölkerung eine Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und Waren, die die Staaten nicht beschaffen können, sondern hielt Familien zusammen, die über die Grenzen hinweg zerstreut sind. Niemand traut sich mehr auf einem Toyota Pick-up durch die Sahara zu fahren, aus Angst fälschlich für einen Islamisten gehalten und bombardiert zu werden. Seit einigen Wochen kreisen schwarze Militärhubschrauber unbekannter Herkunft über dem Air-Gebirge in Nord-Niger und stoßen auf die Fahrzeuge der Nomaden herab, um sie zu kontrollieren. Die nomadische Bevölkerung hat Angst, ist sich aber der neokolonialen Eroberung ihrer Region durchaus bewusst. Sie wissen, dass sie auf Ressourcen sitzen, die über ihren Köpfen verkauft werden.

Tägliche Einspielungen von vor Freude jauchzenden und sich bei Frankreich bedankenden MalierInnen in den Medien können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Frankreich einen neuen Versuch gestartet hat, seine Kontrolle über die Sahara und den Sahel zurückzuerobern und Franceafrique wiederaufleben zu lassen. An dieser Stelle sei zu erwähnen, dass seine neokolonialen Beziehungen zu den früheren Kolonien eine nie abgerissene Kette von ökonomischen Geschäften bilden, die durch massive Korruption seitens von ihm abhängiger afrikanischer Eliten möglich waren (Rob Prince 2013).

Epilog

Während Frankreich über die erfolgreiche Operation Serval jubelt, versinkt der Norden Malis in Kämpfen zwischen islamistischen Terrorgruppen, Tuareg-Rebellen und neu entstandenen teils ethnisch, teils religiös motivierten Gruppierungen (MAA, Mouvement des Arabes de l´Azawad, und Ansar Sharia, ein Ableger von MUJAO).

Seit Beginn der Militärintervention in Mali sind die Städte Gao und Kidal von der Außenwelt abgeschnitten. Jene, die flüchten konnten, vegetieren in überfüllten Flüchtlingslagern in den Nachbarstaaten, deren humanitäre Möglichkeiten erschöpft sind. Jene, die nicht flüchten konnten, kämpfen mit fehlenden oder massiv überteuerten Grundnahrungsmitteln und alle hellhäutigen MalierInnen – Tuareg, Araber und Peul – werden als Komplizen der Islamisten gesehen und sind gewalttätigen Übergriffen der malischen Armee und der mit ihnen verbündeten Milizen (Ganda Koy, Gada Izo) ausgeliefert. Mali, das auf eine bewegte Geschichte zwischen den einzelnen Ethnien zurückblickt, droht in einer weiteren Gewaltspirale anhand ethnischer Konfliktlinien zu versinken.

Verwendete Literatur

  • Fanon-Mendes France, Mireille 2012: Mali: Les dessous impérialistes d´un intervention france-américaine, 7. November, http://blogs.mediapart.fr/edition/les-invites-de-mediapart/article/071112/mali-les-dessous-imperialistes-dune-interventio.
  • James, Jean-Pierre 2010: Pétrol au Mali: Du rêve au cauchemar, Le Quotidien de Bamako, 31. März, http://www.bamanet.net/index.php/actualite/autres-presses/8187-petrole-au-mali–du-reve-au-cauchemar-.html.
  • Keenan, Jeremy 2009: The Dark Sahara: America´s War on Terror in Africa, Pluto Press: New York.
    Lecocq, Baz 2010: Disputed Desert: Decolonisation, Competing Nationalsims and Tuareg Rebellions in Northern Mali, Brill: Leiden, Boston.
  • Mohamedou Ould, Mohamed-Mahmoud 2011: Die vielen Gesichter der al-Qaida im islamischen Maghreb, GSPC Policy Paper Nr. 15, http://www.gcsp.ch/Regional-Capacity-Development/Middle-East-North-Africa/Publications/GCSP-Publications/Policy-Papers/The-Many-Faces-of-Al-Qaeda-in-the-Islamic-Maghreb.
  • Prince, Rob 2013: In Amenas Fiasko throws water on the Algeria-U.S.-France Love Fest: What are the pretexts, the deeper logic of the French Malian intervention? In: Foreign Policy in Focus, 4. Februar, http://www.fpif.org/blog/the_in_amenas_fiasco_throws_cold_water_on_the_algeria-us-france_love_fest_part_two.
  • Ruf, Werner 2013: Mali im Fadenkreuz der Geopolitik, AG Friedensforschung, 16. Februar, http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Mali/ruf.html.

This article was originally published in April 2013 in INTERNATIONAL – Zeitschrift für internationale Politik, Issue 1-2013.

Share on facebook
Share on twitter
Share on pinterest
Share on telegram
Share on whatsapp
Share on pocket

More from Shabka Journal

Veranstaltungsreihe Demokratie unter Druck

Die aktuellen Herausforderungen zwingen uns aber Begrifflichkeiten und Denkweisen auseinander zu dividieren, um daraufhin die wichtige Frage zu stellen: Was bedroht Demokratie? Was bedeutet liberal und was angemessen? Viele antidemokratische