Food Coops: Das nächste Kapitel der Konsumgenossenschaftsbewegung in Österreich?

Mit der Insolvenz von Konsum Österreich im Jahr 1995 schien die österreichische Konsumgenossenschaftsbewegung gescheitert. Doch seit einigen Jahren entstehen in Österreich sogenannte Foodcoops (FC) – Vereinigungen von Menschen, die ihre Einkäufe zusammenlegen, um Lebensmittel möglichst direkt von den ProduzentInnen zu beziehen (foodcoops.at). Speziell im österreichischen Kontext sehen viele Mitglieder von FCs diese als Kritik am gängigen Lebensmittel- und Agrarsystem und in Zusammenhang mit (klein-) bäuerlichen Bewegungen. Sie könnten aber auch als weiteres Kapitel in der Geschichte der österreichischen Konsumgenossenschaften (KGs) beschrieben werden. In diesem Artikel wird – aus der Sicht von drei FC-Mitgliedern – ein Vergleich zwischen den heutigen Foodcoops und den historischen Konsumgenossenschaften angestellt, wobei der Fokus auf Entstehungsbedingungen und interner Organisation liegt.

Food Coops: Gründungsmotive und interne Organisation

Die erste österreichische FC, das Bioparadeis, wurde 2006 von Studierenden gegründet. Die Integration von Bio-Lebensmitteln in das Distributionssystem Supermarkt hatte in den Jahren davor die Struktur der biologischen Landwirtschaft maßgeblich verändert; saisonale und regionale Produktion musste der ganzjährigen Verfügbarkeit von Obst und Gemüse weichen. Folgerichtig spielen ökologische Motive wie biologische Produktion und regionaler bzw. saisonaler Bezug von Lebensmitteln sowie Müllvermeidung bei der Gründung von FCs eine zentrale Rolle. In sozioökonomischer Hinsicht wollen FCs durch ihre Selbstorganisation neue Formen der Arbeitsteilung leben und bei der Wahl von ProduzentInnen auf die dortigen Arbeitsverhältnisse achten. Auch können durch ehrenamtliche Mitarbeit und das Ausschalten des Zwischenhandels Produkte teilweise billiger bezogen werden. Die FCs zeichnen sich durch ihre basisdemokratische und partizipative Organisation aus – anfallende Arbeit wird unentgeltlich von den Mitgliedern erledigt, Entscheidungen gemeinsam getroffen. Mitgliedschaft und Mitarbeit sind Bedingung für den Bezug von Lebensmitteln. Von den FCs abzugrenzen sind Versorger-Verbraucher-Netzwerke, bei denen jedeR über einen Online-Shop einkaufen kann.

Die Werbung suggeriert, dass sich solche sozialen und ökologischen Werte auch im Sinne einer „Politik mit dem Einkaufswagen“ im Supermarkt realisieren lassen. Die Praxis der FCs geht jedoch über dieses „Abstimmen“ an der Kassa hinaus: Agrarpolitisch aktive Mitglieder verstehen FCs als praktische Umsetzung des Konzepts der Ernährungssouveränität – darunter wird das Recht verstanden, über Produktion und Distribution von Lebensmitteln selbst zu bestimmen. Im Vergleich zu den KGs mit ihrem Fokus auf die ArbeiterInnen ist diese Bezugnahme auf ein Konzept interessant, das von bäuerlicher Seite, nämlich der weltweiten Bewegung La Vía Campesina, geprägt wurde. Die Solidarisierung erfolgt nicht nur unter den KonsumentInnen, sondern auch mit Kleinbauern und -bäuerinnen.

Konsumgenossenschaften: Entstehungsbedingungen, Organisation, politische Zielsetzungen

Ein Kisterl einer Food-Coop © Ulrike Jaklin
Ein Kisterl einer Food-Coop © Ulrike Jaklin

Auch wenn die Gründung der KGs teilweise anderen Bedürfnissen folgte, lassen sich in der Frühzeit der Genossenschaftsbewegung etliche Parallelen zur Organisationsstruktur der FCs aufzeigen. Die ersten KGs auf dem Gebiet der heutigen Republik Österreich entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts als Folge des aufkommenden Industriekapitalismus. In den Ballungszentren wurde die mangelhafte Lebensmittelversorgung durch Monopole, Überteuerung und niedrige Qualität der Waren zu einem drängenden Problem für ärmere Bevölkerungsschichten. 1856 wurde mit dem „Wechselseitigen Unterstürzungsverein der Fabriksarbeiter zu Teesdorf“ die erste österreichische Konsumgenossenschaft gegründet. Die KGs jener Jahre waren dem Vorbild Hermann Schulze-Delitzschs, dem Begründer der deutschen Genossenschaftsbewegung, verpflichtet. Auch wenn diese Initiativen das Ziel verfolgten, die Not der ArbeiterInnenschaft zu lindern, rekrutierte sich ihre Klientel vornehmlich aus kleinbürgerlichen Kreisen. Die finanziell Schwächsten befanden sich häufig in einem Abhängigkeitsverhältnis von den GreißlerInnen, bei denen sie „anschreiben“ konnten, und blieben darum vom auf Barzahlung beruhenden System der KGs ausgeschlossen (Brazda 2006: 25ff., Blaich 1995: 35).

Bei den ersten KGs handelte es sich um Zusammenschlüsse kleinerer Personengruppen mit dem Ziel, gemeinsam zu günstigen Preisen unverfälschte Lebensmittel zu erwerben. Die Mitglieder übernahmen einen Anteil am Geschäftskapital und erlangten so das Recht, die en gros eingekauften Nahrungsmittel zu beziehen. Entscheidungen wurden von einem gewählten Vorstand getroffen, das laufende Geschäft erledigten die Mitglieder ehrenamtlich. Überschüsse wurden regelmäßig als Rückvergütung an die Mitglieder ausgeschüttet.

Die erste Phase der Genossenschaftsbewegung war nicht revolutionär, sondern demokratisch-liberal geprägt. Sie verfolgte das Ziel, soziale Spannungen auszugleichen und der neu entstandenen ArbeiterInnenklasse die Adaption an die herrschenden Produktionsverhältnisse zu erleichtern. Eher als einen Umsturz bezweckte sie also eine Konsolidierung des Status quo.

Ende der 1880er kam es zu einem Aufschwung der Gewerkschaftsbewegung und zu einer Verschärfung der Klassengegensätze, die wiederum eine Radikalisierung der ArbeiterInnenbewegung nach sich zog. In der Folge wuchs auch das Interesse politisch interessierter ArbeiterInnen an den KGs, die als Möglichkeit gesehen wurden, eigene politischen Visionen in die Tat umzusetzen. In Österreich stand die Konsumgenossenschaftsbewegung um die Jahrhundertwende der Sozialdemokratie nahe, wurde jedoch zunächst nicht von der Partei unterstützt – mit der Begründung, dass die KGs die ArbeiterInnen vom Klassenkampf abhalten würden. Erst 1909 erklärte die Partei KGs zum vollwertigen Kampfmittel der ArbeiterInnenbewegung (Brazda 2006: 24ff., 53ff.; Blaich 1995: 43).

Entwicklung bis zur NS-Zeit

Nach dem Börsenkrach von 1873 sank die Zahl der KGs, wofür neben der Wirtschaftskrise vor allem das neu erlassene Genossenschaftsgesetz mit seiner Festschreibung von Haftpflicht und Barzahlung verantwortlich war, aber auch innerbetriebliche Unzulänglichkeiten wie zu geringes Eigenkapital oder schlechte Kontrolle der finanziellen Gebarung. Zusätzlich führten hohe Schulden und übermäßige Investitionen zu Schwierigkeiten: So machte der Übergang vom System der Vorbestellungen zum regulären Geschäftsbetrieb im Teesdorfer Konsumverein die Anschaffung eines Warenlagers notwendig. Um dieses zu finanzieren, verschuldete sich der Verein so stark bei den LieferantInnen, dass er nur knapp dem Ruin entging (Brazda 2006: 49ff.).

Außerdem begannen die Konsumgenossenschaften, auf Kosten der Warenqualität immer höhere Dividenden auszuschütten, um mehr Mitglieder anzuziehen. Die von der sozialdemokratischen Partei betriebene Zusammenlegung vom Ruin bedrohter KGs führte 1902 zur Gründung des Arbeiterkonsumvereins „Vorwärts“. Die Förderung durch die Partei zog jedoch weitere Probleme nach sich: Mit Hilfe großzügiger Kredite errichtete „Vorwärts“ Filialen in allen Arbeiterbezirken, um seine Vormachtstellung gegenüber anderen Wiener KGs auszubauen, was wiederum letztere in ihrer Existenz bedrohte. Nachdem die Konsumvereine ab 1916 von ihrer Eingliederung in die Kriegswirtschaft profitiert hatten – ob die Bezeichnung KGs zu dieser Zeit noch zutreffend war, ist fraglich – wurde ihr Bestehen von der Liberalisierung der 1920er Jahre erneut auf die Probe gestellt. Auf den verschärften Wettbewerb im Einzelhandel reagierten sie mit einer Neuausrichtung im Sinne des Konkurrenzprinzips (Brazda 2006: 60ff.; Blaich 1995: 44, 53f.).

Im Zuge der derder Kredit- und Wirtschaftskrise Anfang der 1930er verringerten sich die Umsätze der KGs aufgrund von Arbeitslosigkeit und Kaufkraftverlust der Mitglieder.

Nachdem bereits um die Jahrhundertwende eine technokratische Elite von „harten Rechnern und redlichen Geschäftsleuten“ (Schediwy 2006: 89) viele Konsumvereine saniert hatte, stand auch die von ihnen geprägte Folgegeneration den stärker politisierten Funktionären skeptisch gegenüber und fokussierte auf unternehmerische Aspekte der KGs.  Das war nicht nur ein österreichisches Phänomen, erklärt allerdings im Fall Österreichs „die relativ problemlose ,Abkopplung‘ des Schicksals der Konsumgenossenschaften von den übrigen Zweigen der Arbeiterbewegung im Rahmen der diktatorischen Rechtswendung des politischen Klimas in den dreißiger Jahren“ (Schwediwy 2006: 89). Seit 1934 wurden die KGs nicht mehr durch sozialdemokratische Funktionäre geleitet, seit 1938 war Juden die Mitgliedschaft verwährt. Im zweiten Weltkrieg wurden die KGs in NS-Parteiunternehmen umgewandelt, ihre Zahl verringert und die Organisationsstrukturen gestrafft (Schediwy 2006: 171f., 203ff.).

Von der Konsumgesellschaft zum Untergang von Konsum Österreich

Die in der NS-Zeit geschaffenen Strukturen der KGs waren leistungsfähiger als jene des privaten Lebensmittelhandels und stellten somit einen betriebswirtschaftlichen Wettbewerbsvorteil dar. Es gelang den KGs allerdings nicht, diesen Vorsprung zu nutzen, als sich in Österreich ab den 1960er Jahren mit Entstehen der Wohlstandsgesellschaft eine Veränderung vom Verkäufer- hin zum KäuferInnenmarkt vollzog, auf dem die KonsumentInnen das Marktgeschehen bestimmten. Die KGs konnten bei Personal- und Flächenproduktivität mit der Konkurrenz nicht mithalten. Mit diversen betriebswirtschaftlichen Konzepten wurde seitens der Manager versucht, die Konkurrenzfähigkeit der KGs zu steigern. Mit diesem Ziel wurde schließlich 1978 auch der Zusammenschluss der österreichischen KGs zum Konsum Österreich angestrebt. Nicht mehr Bedarfsdeckung und gerechte Verteilung, sondern Bedarfsweckung stand im Mittelpunkt der Geschäftspolitik. Zwar hatte Konsum Österreich 1987 mit über 800.000 Haushalten die höchste Mitgliederzahl erreicht, doch war der prozentuelle Anteil aktiver Mitglieder seit 1979 zurückgegangen (Knotzer 2006: 285f.). Emil Knotzer (2006) und Jan Wiedey (2006) verorten die Ursachen für den Untergang des Unternehmens im Jahr 1995 in der Fehl- und Nichtentscheidung betriebswirtschaftlicher „Sachfragen“: „Die Zeit der KGs scheint nach 150 Jahren wechselhafter Geschichte vorbei zu sein.“ (Wiedey 2006: 18)

Kritik an der Organisation der KGs

Dass der Misserfolg von Konsum Österreich nur auf „sachliche“ Managementfragen zurückzuführen sei, basiert indes bereits auf der praktischen Beantwortung einer politischen Frage. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts wurde im Umfeld der Genossenschaftsbewegung kritisiert, dass sich die KGs immer mehr zu rein profitorientierten Unternehmen entwickeln würden. So rügte etwa der Anarchist Gustav Landauer in einem Artikel von 1910 die „Schulze-Delitzscherei“ und stellte fest, dass es aus revolutionärer Perspektive bei KGs nicht um den wirtschaftlichen Vorteil oder billigere Lebensmittel gehe, sondern um die Ausschaltung des Kapitalismus durch bedarfsorientierte, demokratische und solidarische Eigenproduktion. Er sah den entscheidenden Unterschied darin, ob KGs wie ihre kapitalistischen MitbewerberInnen handeln würden und zu „Arbeitgebern werden, die ihren angestellten Arbeitnehmern als Herren gegenüberstehen … oder ob die Konsumenten eben um deswillen zusammentreten, um für sich selber zu arbeiten.“ (Landauer 2010)

1923 beanstandete die Zeitschrift „Der freie Genossenschafter“, dass sich viele Mitglieder eher aus materiellen als aus ideellen Gründen an Genossenschaften beteiligen würden. Im selben Text wurde problematisiert, dass Vorstandsmitglieder einiger Konsumvereine gleichzeitig geschäftsführende Leiter von Handelsgesellschaften seien, die in Konkurrenz zu den Genossenschaften ständen. Im Zuge der Fusionierung kleiner Konsumvereine – so die Zeitschrift – finde außerdem eine Veränderung von ehrenamtlicher Arbeit zu beamteten Vorstandsmitgliedern und angestellten MitarbeiterInnen statt, was wiederum steigende Verwaltungskosten zur Folge habe (Schwediwy 2006: 116ff.).

Das Organisatorische ist das Politische

Der Vergleich zwischen den Entstehungsbedingungen von KGs und FCs zeigt zwar einerseits deutliche Unterschiede: Entstanden die KGs aus der wirtschaftlichen Notlage der ArbeiterInnen heraus, geht es bei FCs nicht in erster Linie um den Preisvorteil, sondern um ökologische Aspekte und die Arbeitsbedingungen der ProduzentInnen. Auch haben die KGs zum Zeitpunkt ihres Aufgehens im Konsum Österreich eine Dimension erreicht, die einen Vergleich mit den viel kleiner bemessenen FC schwierig macht. Dennoch lassen sich, namentlich in der Frühphase der Genossenschaftsbewegung, einige Parallelen zu heutigen FCs aufzeigen – zu erwähnen ist hier vor allem der Gedanke der Selbstorganisation.

Wie aus der Kritik von Landauer und den AutorInnen des „Freien Genossenschafters“ hervorgeht, bildete auch bei den historischen KGs die Definition der Ziele und Aufgaben einen Gegenstand kontinuierlicher Auseinandersetzungen. Fest steht, dass die Geschichte der Konsumvereine eine Entwicklung weg von der Selbstorganisation und hin zu einer ausschließlich marktwirtschaftlichen Ausrichtung beobachten lässt. In diesem rein betriebswirtschaftlich geführten Wettkampf hatten die KGs keine Chance. In dem Text „The Organizational is the Political“ zeigen Bill McEvily und Paul Ingram (2004), mit welch unterschiedlichen Strategien FCs in den USA auf die Konkurrenz durch gewinnorientierte Supermarktketten reagierten: Während die einen die Unterschiede zu den Supermärkten betonten und noch kooperativer wurden, versuchten die anderen, die Kostenvorteile der Ketten zu imitieren. Würden die österreichischen FCs die Differenz zu Supermärkten abbauen, wären sie nur noch in Hinblick auf den Preis von diesen zu unterscheiden und könnten wohl kaum am Markt bestehen. Solange es jedoch nicht um Geldvermehrung durch Bedarfsweckung geht, sondern darum, den Eigenbedarf an biologischen Lebensmitteln selbstorganisiert zu decken, könnte es den FCs durch ihre relative Autonomie vom kapitalistischen Markt auch in Zukunft gelingen, sich zu behaupten.

Verwendete Literatur

  • Die zitierten Beiträge von Brazda, Knotzer, Schediwy und Wiedey (alle 2006) finden sich im Sammelband von Brazda und Rom.
  • Blaich, Robert (1995): Der rote Riese wankt … Wien: Tosa.
  • Brazda, Johann/Rom, Siegfried (Hrsg.)(2006): 150 Jahre Konsumgenossenschaften in Österreich. Wien: Eigenverlag des FGK.
  • Landauer, Gustav (1910): Sozialismus und Genossenschaft. In: Der Sozialist, 20/1910.
  • McEvily, Billy/Ingram, Paul (2004): The Organizational is the Political. http://apps.olin.wustl.edu/faculty/conferences/oesc/pdf/mcevily_ingram_paper.pdf, 7.7.2012.
This article was originally published in 2012 in politix – Zeitschrift des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität Wien, Issue 32.
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