Grüner Kolonialismus in Honduras

„Honduras is open for business!“ (S. 9), skandiert die offizielle Politik jenes mittelamerikanischen Landes, das weltweit am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen ist (ebd.). Ihre Programmatik des totalen Ausverkaufs verspricht nachhaltigen Umwelt- und Klimaschutz sowie gesellschaftlichen Wohlstand für alle gleichermaßen.

Die unsichtbare Hand einer „Green Economy“ gilt ihren Befürworterinnen und Befürwortern als Heilmittel für die kränkelnde „Patientin Natur“: Natürliche Ressourcen wie Wald, Wasser, Boden oder Biodiversität sollen „inwertgesetzt“, das heißt, zur handelbaren Ware gemacht und auf einem globalen Markt feilgeboten werden. Die scheinbar positive Nebenwirkung lautet: Profit für diejenigen, die sich an der Kommodifizierung der Natur beteiligen.

Das Buch der Aktivistin und Sozialwissenschaftlerin Magdalena Heuwieser schreibt gegen diese Logik an. In ihrer Studie begleitete sie den Widerstad sozialer (indigener) Bewegungen gegen drei vermeintlich grüne Staudamm- und Waldschutzprojekte in Honduras. Sie bezeichnet diese sogenannten ökologischen Vorhaben in Honduras als „Green Grabs“, das heißt eine neue Form des Land Grabbings im Namen des Klimaschutzes (S. 11). In ihrer Studie dekonstruiert sie nicht nur den ideologischen Überbau der „Green Economy“ bzw. des „Green Grabbings“, sondern erläutert anhand der Fallbeispiele ihre zerstörerischen Auswirkungen auf die indigene Bevölkerung sowie die Umwelt. Heuwieser zeigt, dass diese vermeintlich grünen Projekte in der Praxis dieses Attribut keineswegs verdienen.

Alles muss raus!

Neben einem historischen Abriss zur neueren honduranischen Geschichte bietet der erste Teil dieses Buches eine profunde Kritik an systemkonservativen Lösungsstrategien für die „multiple Krise“ (S. 67). Mit diesem Begriff knüpft die Autorin an Ulrich Brands und Markus Wissens Verständnis einer globalen Vielfachkrise im 21. Jahrhundert an. Klima-, Umwelt-, Nahrungsmittel-, Finanzkrise etc. würden sich überlagern und über ein gemeinsames, systemimmanentes Fundament verfügen: Die kapitalistische Produktionsweise und ihr Konsum-, Konkurrenz-, Wachstums- und Leistungsparadigma seien die Ursache für globale Schieflagen.

Daran anschließend attestiert die Autorin der „Green Economy“ und ähnlichen Ansätzen keine ausreichende Krisenbearbeitung, da sie innerhalb dieser systemischen Grenzen operieren würden, gemäß der Prämisse: „Natur muss verkauft werden, um sie zu retten“ (S. 71).

Heuwieser beschäftigt sich zudem mit verschiedenen (globalen) Instrumenten, die eine Inwertsetzung der Natur zum Ziel haben. Sie enttarnt deren Auftreten als grüne Maskerade zugunsten bedingungsloser Markterschließung und Profitmaximierung (S. 67-92).

Green Grabbing in Honduras

In Honduras treibt dieser vermeintlich ökologische Aufzug traurige Blüten, wie in einem der Fallbeispiele des Buches:

Das Staudammprojekt La Aurora I wird betrieben von einer der einflussreichsten honduranischen Familien und gibt sich an der Oberfläche sauber, nachhaltig und grün. Tatsächlich prägen das Vorhaben Vetternwirtschaft, Klientelismus und Unterdrückung. Die Familie Aurora verfügt über beste Kontakte in Wirtschaft, Politik und Militär. Die Betreiberin selbst, Gladis Aurora, ist Vorsitzende der konservativen Nationalen Partei und Vizepräsidentin des honduranischen Kongresses. Ihre Kontakte nutzt diese „familiäre Unternehmung“ (S. 113) freilich, um sich als Vorreiterin in Sachen Umwelt darzustellen. Beim Bau des Kraftwerks versprachen die Betreiber annähernd paradiesische Zustände: langfristige Arbeit für alle, Elektrifizierung und kostenlose Stromversorgung sowie den Bau neuer Infrastruktur (S. 123).

Kaum eines dieser Versprechungen wurde eingelöst, stattdessen gibt es weder Wasser noch Strom für weite Teile der ansässigen Bevölkerung. Auf die Frage der Autorin, ob ihre Firma die Anwohnerinnen und Anwohner um Einwilligung beim Bau des Kraftwerks gebeten habe, antwortete Gladis Aurora: „Wir bitten um Verzeihung, nicht um Erlaubnis.“ (S. 118)

Indes ist es den AnrainerInnen nicht mehr möglich, den Fluss für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Das Waschen von Wäsche, fischen oder baden wurde zur Unmöglichkeit. Während des Baus waren BewohnerInnen regelmäßigen Repressalien, Einschüchterungen und Manipulationsversuchen vonseiten der KraftwerksbetreiberInnen ausgesetzt (S. 120).

Auch der umweltbezogene Mehrwert blieb bei La Aurora I auf der Strecke: Im Gesamten konnte das Kraftwerk zu keiner Emissionsreduktion beitragen, da sein Bau nicht wie vorgesehen zur Schließung anderer fossiler Kraftwerke führte.

La Aurora I stellt nur eines von zahlreichen scheinbar „grünen“ Projekten dar. Magdalena Heuwieser dokumentierte in ihren insgesamt über 40 Interviews mit Betroffenen und Verantwortlichen dieser sogenannten „grünen“ Projekte den tiefen Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit von Unternehmungen, die sich angeblich dem Dienste an Mensch und Natur verschrieben sehen.

Ein Aufruf zu Reflexion, Kritik und Diskussion

„Grüner Kolonialismus in Honduras“ leistet einen wissenschaftlichen, aber auch sehr gut lesbaren Beitrag zur Debatte um die Fallstricke der „Green Economy“. Zusätzlich bietet dieses Buch einen Einblick Geschichte eines Landes, das in der Regel selten auf den Bildschirmen der Weltöffentlichkeit erscheint. Durch die Kombination aus professioneller, engagierter journalistischer Arbeit und einer theoretisch fundierten Systemkritik gelingt es Heuwieser, eine wissenschaftliche Publikation zu verfassen, die gleichermaßen spannend wie erschütternd und lehrreich ist.

Bemerkenswert ist zudem der reflektierte Umgang der Autorin mit ihrer eigenen Rolle als (westliche) Wissenschaftlerin im Forschungsprozess: Ganz in der Tradition der Dekolonialen Theorie unterstreicht sie den Konstruktionscharakter sozialwissenschaftlicher Forschung im Lichte eines West-Rest-Diskurses, der seit der kolonialen Durchdringung des globalen Südens fortbesteht. Außerdem bricht sie durch die Methode der Dekolonialen Aktionsforschung mit einem eurozentrischen, positivistischen Wissenschaftsverständnis und hebt hervor, dass dieses Buch nur einen Teil der Forschungsergebnisse abbildet: Zahlreiche weitere Publikationen, Radiosendungen, Kundgebungen, Informationsabende, Kartierungsworkshops etc. sind das Ergebnis ihres langjährigen Engagements in Zusammenarbeit mit diversen sozialen Bewegungen in Honduras.

In der Zusammenschau regt der Band einen Lerneffekt an, der dazu einlädt, systemische Grenzen zu hinterfragen. Magalena Heuwiesers Buch ist nicht nur eine lesenswerte Analyse, sondern letztlich vor allem eine Einladung zu Kritik, Reflexion und Diskussion. Denn eines zeigt „Grüner Kolonialismus in Honduras“ besonders deutlich:

Eine Überwindung des gesamten Elends der Welt – von der sozialen Frage bis zum Klimawandel – bedarf einer Absage an das System Kapitalismus und seinen verheerenden Auswirkungen auf Mensch und Planet.

11713915_10152980290841361_7748355924893232440_oHeuwieser, Magdalena (2015): Grüner Kolonialismus in Honduras. Land Grabbing im Namen des Klimaschutzes und die Verteidigung der Commons. Wien: Promedia. 216 Seiten. ISBN: 978-3-85371-391-4.

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