Zwei Wahrheiten der Ukraine-Krise

Am 12. April 2014 ereignete sich im Schwarzen Meer ein Zwischenfall der beispielhaft verdeutlicht, wie sehr die Ukraine-Krise auch ein Kampf um Wahrheit geworden ist. Hier der Vorfall um die USS Donald Cook und die Lehren daraus.

In der Aufarbeitung des Zwischenfalls des 12. April versuchen die zwei zentralen Akteure – die Vereinigten Staaten und die Russische Föderation – mit unterschiedlichsten Mitteln, den Diskurs zu bestimmen. So schaurig, wie dieses Streben aus realpolitischer Perspektive ist – “Winning the hearts and minds of the people” – so gefährlich ist es. Und die dadurch zunehmende diskursive Eskalation auch.

Der Fall USS Donald Cook

Die USS Donald Cook (DDG 75) unterwegs im Mittelmeer. Bild PD.
Die USS Donald Cook (DDG 75) unterwegs im Mittelmeer. Bild PD.

Zur Illustration ein kurzer Rückblick auf den bereits oben angeführten Vorfall: Die USS Donald Cook (DDG-75), ausgestattet mit Fähigkeiten zur Raketenabwehr (RIM-161 Standard Missile 3), bildet einen integralen Bestandteil der maritimen Komponente des Raketenabwehrsystems der Vereinten Staaten AEGIS. Es war daher zu erwarten, dass die Ankündigung der Verlegung des Zerstörers ins Schwarze Meer am 8. April eine Reaktion hervorbringen würde. Diese ließ nur kurz auf sich warten: Am 12. April war es von russischer Seite dann soweit.

Während die USS Donald Cook in westlichen neutralen Gewässern des Schwarzen Meeres – nahe der rumänischen Küste – kreuzte, näherten sich zwei unbewaffnete Suchoi Su-24 Jagdbomber der russischen Luftwaffe. Soweit die übereinstimmende Faktenlage, welche aus unterschiedlichen Agentur-/Pressemeldungen und anderen Berichten entnommen werden kann. Doch dann gehen die Meldungen auseinander.

Die offizielle Pressemeldung des amerikanischen Verteidigungsministeriums, herausgegeben am 14. April 2014, zitiert unter dem Titel “Russian Aircraft Flies Near U.S. Navy Ship in Black Sea” Col. Steve Warren wirkt defensiv:

The aircraft did not respond to multiple queries and warnings from Donald Cook […]. This provocative and unprofessional Russian action is inconsistent with international protocols and previous agreements on the professional interaction between our militaries.

Die USS Donald Cook war laut Warren zu keiner Zeit in Gefahr:

The Donald Cook is more than capable of defending itself against two Su-24s.

Die Pressemeldung schließt mit dem Hinweis, dass der Zerstörer den Hafen von Konstantia anlaufen wird.

Seitenansicht einer sowjetischen Su-24 Fencer im Flug. Bild: PD.
Seitenansicht einer sowjetischen Su-24 Fencer im Flug. Bild: PD.

Die vielfach replizierte Meldung der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti liest sich hier schon anders. Die Meldung wurde im Bereich “Meinungen” veröffentlicht und beinhaltet keine Stellungnahme von offiziellen politischen oder militärischen Vertretern der Russischen Föderation. Der Autor greift lediglich auf ein Interview mit Pawel Solotarjow, stv. Direktor des Instituts für USA und Kanada der Akademie der Wissenschaften Russlands, zurück. Der Titel des Kommentars “Russische Su-24 legt amerikanischen Zerstörer lahm” bietet eine alternative Deutung des Vorfalls rund um die USS Donald Cook: Die Su-24 sei mit dem modernsten Mitteln zur elektronischen Kampfführung ausgestattet gewesen und hätte dadurch die Abwehrmechanismen der USS Donald Cook außer Kraft gesetzt. Dies ermöglichte der Su-24 die zwölfmalige Durchführung eines Angriffsmanövers:

Aegis’ funktionierte nicht mehr, die Raketen konnten keine Zielzuweisung beziehen. Die Su-24 überflog das Deck des Zerstörers, vollzog eine Kampfkurve und imitierte einen Raketenangriff gegen das Ziel.

Dieser Vorfall blieb laut Kommentar nicht folgenlos:

nach diesem Zwischenfall hat die ‘Donald Cook’, wie ausländische Massenmedien berichten, schnellstens einen Hafen in Rumänien angelaufen. Dort hätten 27 Besatzungsmitglieder ihr Entlassungsgesuch eingereicht.

Information im digitalen Zeitalter

Ein Werbeplakat aus den späten 1910er Jahren preist die Informationsangebote der US-Regierung an. Bild: PD.
Ein Werbeplakat aus den späten 1910er Jahren preist die Informationsangebote der US-Regierung an. Bild: PD.

Diese Gegenüberstellung illustriert den gegenwärtigem Kampf um die Deutungshoheit der Vorfälle rund um die Zuspitzung der Situation in der Ukraine. Diese Vorfälle sind nicht neu, Informationskampagnen sind seit jeher Teil der psychologischen Kriegsführung, um die Öffentlichkeit(-en) für die eigene Sache zu gewinnen.  Die aktuelle Krise um die Ukraine dient als Anschauungsbeispiel für das komplexe Zusammenspiel der Informations- und Meiningsverbreitung. Neben den traditionellen Kommunikationsformen wie Zeitungen, Zeitschriften, Nachrichtenagenturen und Fernsehen sind eine Vielzahl von Medien getreten, die Chancen und Risiken potenzieren. Gerade soziale Medien spielen eine wesentliche Rolle in der Verbreitung von Meinungen. Doch bringen mehr Möglichkeiten auch vermehrte objektive Berichterstattung?

Paul Winter hat in seinem Beitrag “Euromaidan: Good News, Bad News, No News. – Eine Medienkritik” schon auf die Notwendigkeit eines kritischen Umgangs mit den Bildern, Videos, Tweets, Posts, etc. und vor allem deren Übernahme in traditionelle Mainstream Medien hingewiesen.

Soziale Medien arbeiten vermehrt mit der emotionalen Ebene, diskursive Elemente werden meist in multimedialer Form bereitgestellt. Die Unterscheidung, was Meinung und was Information ist, fällt sehr schwer.
Neue Medien haben die Komplexität von Informations- und Meinungsflüssen drastisch erhöht und die Unterscheidung noch schwieriger gemacht. Die Asymmetrie des Krieges am Boden, welche sich auch durch die zunehmend fehlende Unterscheidbarkeit von Zivilisten, Paramilitärs und Miltärs beschreiben lässt, widerspiegelt sich in der Komplexität der Informationen Informationen im digitalen Zeitalter.

Konfliktvermittlung durch Abrüstung der Worte

Eine nachhaltige und rasche Beilegung des Konfliktes scheint derzeit in weite Ferne gerückt zu sein. Nicht zuletzt der Kampf um die Deutungshoheit, der derzeit in den Medien herrscht, erschwert eine Annäherung an den Verhandlungstischen. Ein langfristige Vermittlung kann und muss auch eine Annäherung an einen diskursiven Konsens beinhalten.

Erst wenn eine annähernd gleiche Sprache gesprochen wird, ähnliche Begriffe verwendet werden, ist ein Aufeinanderzugehen möglich. Eine Abrüstung der Worte und eine Annäherung in der Sprache und den verwendeten Begriffen zwischen den beiden zentralen Akteuren ist dringendst anzuraten. Dies kann nur erfolgen, wenn sich alle Beteiligten auch ihrer Verantwortung bewusst werden, welche Begriffe, Bilder, Videos veröffentlicht und vor allem in welchem Kontext diese präsentiert werden.

Jedes neue Bild, jedes neue Video, jeder neue Begriff schürt Emotionen und rückt eine rationale Herangehensweise in weiter Ferne. Begriffe wie “Euro-Maidan”, “Rechter Sektor”, “Separatisten” und “Selbstverteidigungskräfte” formen den internationalen öffentlichen Diskurs und verbreiten sich schneelballartig über soziale Medien. Menschen werden dadurch gegeneinander aufgeheizt, Stimmung wird dadurch gemacht und Konsens verunmöglicht.

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