This land is my land, this land is my land

Wie sich Clanstreitigkeiten, das Verhältnis zum Staat, militärische Konflikte oder religiöse Führung und Identität auf die drusische Gemeinschaft im Nahen Osten auswirk(t)en, geht Tobias Lang in seinem Buch „Die Drusen in Libanon und Israel“ nach. Der Titel ist eine Schilderung von Nahost in Kleinformat.

Da die drusische Gemeinschaft unter verschiedensten Bedingungen – räumich, politisch und sozial – über Libanon, Israel, Syrien und Jordanien verteilt lebt, lassen sich höchst unterschiedlliche Entwicklungen in den einzelnen Ländern ausmachen. Die Drusen, eine Religionsgemeinschaft, die sich im 11. Jahrhundert n. Chr. vom schiitisch-ismailitischen Islam abgespalten hatte, war in ihrer Vergangenheit immer wieder Verfolgungen ausgesetzt. Ihre Geschichte war ein Grund dafür, dass sie bevorzugt in den gebirgigen, unwegsamen Regionen des historischen Großsyrien siedelten.

Nachdem das historische Großsyrien nach dem Ersten Weltkrieg in die Vorläufer der heutigen Nationalstaaten, die französischen und britischen Mandatsgebiete aufgeteilt wurde, sah sich die Gemeinschaft zunehmend damit konfrontiert, durch Grenzen getrennt zu sein. Aus diesem Grund zeichnet sich das Gros zeitgenössischer Literatur über die Drusen dadurch aus, sich auf einen dieser Staaten zu konzentrieren. Ein solcher Blick lässt aber viele Probleme, Herausforderungen und Gemeinsamkeiten einer politisch bedeutsamen, zersplitterten Minderheit in der Region außer Acht.

Tobias Lang blickt in seinem Buch Die Drusen in Libanon und Israel auf die Gemeinschaft in der gesamten Region, wenngleich Syrien dabei nur gestreift wird. Durch Interviews mit Intellektuellen und Führungspersönlichkeiten der Drusen in Israel und einer tiefgreifenden Analyse der Gemeinschaft im Libanon, zeichnet der Autor die Geschichte einer Minderheit.
Die durchaus unübliche Kombination eines Blickes auf zwei Länder, deren Verhältnis über die Jahrzehnte durch Konfrontation und partikularistische Zusammenarbeit einzelner Gruppen geprägt war, lässt so unkonventionelle Schlüsse über gesellschaftliche Zusammenhänge in Nahost zu.

Dabei streicht Tobias Lang hervor, welche Eigenschaften die Gemeinschaft über die Grenzen hinweg auszeichnen und wie sich Entwicklungen in der Region auf deren Zusammenhalt auswirken. Ohne Ergebnisse der Forschung des Autors vorwegnehmen zu wollen, kann man darauf hinweisen, dass sich die Geschichte der druschischen Gemeinschaft unter anderem kennzeichnenderweise durch das Fehlen eines externen Verbündeten auszeichnet. Wer die Region kennt weiß, dass gerade externe Einflussnahme ein zentrales Merkmal der meisten Minderheiten im Nahen Osten ist. Der libanesische Bürgerkrieg zwischen 1975 und 1990, aber auch der aktuelle Krieg in Syrien sind eindringliche Beispiele dafür.

Im Fall der Drusen lässt sich diese Besonderheit an einem – zumindest seit dem 20. Jahrhundert einsetzenden – Kampf um ihre politische Rolle ablesen. Ein zentrales Element davon ist, so der Autor, ein ausgeprägter politischer Pragmatismus: Der Ausdruck davon ist das Streben der drusischen Eliten nach Integration. Dies machte einen Schulterschluss mit anderen Minderheiten in der Vergangenheit zu einem gewissen Grad schwierig und heute zunehmend unwahrscheinlich – vor allem in Israel.

We belong here to the land. If Israel is here we are Israelis. If (the) Palestinians will reoccupy (which may) god forbid, this country, we will become Palestinians, because we belong to the land. (Zeidan Atashi, S. 120)

So haben die drusischen Gemeinschaften in Israel und im Libanon eine höchst unterschiedliche Entwicklung erfahren. In Israel leisten Drusen – im Gegensatz zu Christen und Muslimen – obligatorisch Militärdienst. Im Libanon war die stärkste drusische Partei während des libanesischen Bürgerkrieges zeitweise eng mit den Palästinensern verbündet. Im stark von Drusen besiedelten Golan ist ihre Anwesenheit zentral, weil sie sich immer wieder gegen die israelische Besatzung stark machten und bis heute von der Nähe zum syrischen Staat geprägt sind.

Wenn man an einem Leitfaden der drusischen Geschichte interessiert ist; wenn man wissen möchte, wie man sich als nicht-jüdische Minderheit in Israel mit dem Staat arrangierte und welche Brüche eine solche politische Pragmatik mit sich bringen,  wie sich zwischen arabischen Nationalismus und Sozialismus, religöser Identität, Machtkämpfen und Eigeninteressen eine eigene drusische Identität herausbildet, ist das Buch von Tobias Lang die passende Lektüre.
Die Drusen werden oftmals als undurchschaubare, beinahe “mystische” Gemeinschaft dargestellt. Dieser Tendenz wirkt der Autor entgegen, da er sowohl ihre geschichtliche Entwicklung, religiöse Vorstellungen als auch den politischen Werdegang der drusischen Gemeinschaft bis heute thematisiert. Das Buch ist ein sehr guter Einstieg zu den konfessionellen Minderheiten des Nahen Ostens, weil es einerseits eine orientalisierende Blickweise auf die Gesellschaft im Nahen Osten aufbricht und dadurch die zentrale Stellung der Drusen in der oft wirren Geschichte der Region zeichnen kann.

UnbenanntTobias Lang: Die Drusen in Libanon und Israel
Geschichte, Konflikte und Loyalitäten einer religiösen Gemeinschaft in zwei Staaten

Klaus-Schwarz Verlag, Berlin 2013, 174 Seiten, 24,80 €

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